In der Nacht hat es mächtig gestürmt – der Wind hat meine ArgoFram immer wieder durchgeschüttelt, und als ich am Morgen aus der Kabine trete, sehe ich, dass meine Flagge weggerissen worden ist. Ade Schweizerkreuz (nun muss ich die Reserveflagge montieren; nachdem im vergangenen Jahr das Kreuz aus Alu wohl wegen den Erschütterungen auf See weggebrochen ist, habe ich ein neues, leichteres aus Forex herstellen lassen – wohlweisslich in doppelter Ausführung).

Lovund war einen Abstecher mehr als wert, aber nun ist es naheliegend, einen geschützten Hafen anzulaufen… Doch die Frage ist berechtigt: was ist hier schon ‘geschützt’? Wenn es reinbläst, dann kann niemand diese Gewalten aufhalten. Bestenfalls mindern. Aber ein festes Dach über dem Kopf zu haben, eine Dusche zu nehmen, eine Mahlzeit ohne Wind und Regen zuzubereiten, das wäre schon was – Luxus!

Bodö soll unser nächstes Ziel sein, ein grösserer Ort mit über 40’000 Einwohnern, bös malträtiert von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg, schachbrettartig wiederauferstanden dank der Sturheit dieser Nordländer. Heute mit Flughafen und regelmässigen Verbindungen nach Oslo… Es wird absehbar, dass Lois hier von Bord geht. Aber die letzten Tage bis dahin werden wir noch einmal auskosten, voll auf Touristen machen und jedes noch so bescheidene Highlight verschlingen.

Der Hafen wimmelt von unterschiedlichsten Booten; Segelboote aller Art, Motorboote, auch viele Schlauchboote (für touristische Zwecke), eine grosse Jacht (weit über 24 Meter) die schon bereitliegt und auf ihren Eigner und seine Gäste wartet, und natürlich viele Fischerboote. Auch Toilettenanlagen und Duschen sind vorhanden, sogar eine Waschküche – fehlt nur noch ein Aufenthaltsraum mit wenigstens minimaler Küche. Grund genug für Lois, rasch ein geeignetes Hotel (mit angegliedertem Fitnesszentrum) ausfindig zu machen – schon bald richten wir uns dort ein.

Nun teilen wir uns wieder auf – ich gehe meinen Weg für eine Stadtbesichtigung (konkret will ich am heutigen Tag eines dieser Sommerwendfeste mit grossem Feuer sehen – was sich dann leider als eher bescheidener Quartieranlass für ansässige Familien und speziell für die Knirpse herausstellt, generationenübergreifende Traditionspflege quasi, die nach bereits einer Strunde schon wieder vorbei und vergessen scheint), und Lois geht ihren Interessen nach. Wunderbar. Irgendwann treffen wir uns zum ‘Afternoon Tee’ und tauschen uns aus – sie möchte als nächstes das Museum über die Schifffahrt besuchen, weil dort ein altes, aber hervorragend konserviertes Warentransportboot ausgestellt wird, resp. das Museum um dieses Boot herum gebaut worden ist. Und ich möchte meine Kontakte, die ich am Hafen geknüpft habe, für einen Bootsausflug zur ‘stärksten Strömung Europas’ nutzen… Schliesslich können wir mit meiner ArgoFram bei einem Tour Operator quasi anhängen, wenn er mit seinen Gästen im RIB zu einer ‘Abenteuerfahrt’ ausläuft. Diese beiden Dinge machen wir gemeinsam – und wir nehmen uns vor, uns aktiv zu erholen, mindesten einmal pro Tag im Fitnesscenter aufkreuzen, wenn das Wetter nichts anderes hergibt! Das wird guttun, wenn wir unsere Muskeln wieder so spüren, wie wir es gewohnt sind. Auch weil danach ein Besuch in der Sauna lockt. Und gut essen wollen wir auch, dieses oder jenes Restaurant ausprobieren… Es werden erneut übervolle Tage; auf geht’s!

So verfliegt die Aufenthaltszeit in Bodö im Nu – das Museum mit dem darin ausgestellten Boot, einer Jekt (!), und den darum herum gruppierten Wissenhäppchen über die Geschichte dieses langgezogenen Landstreifens zwischen den Lofoten und Bergen, dem wir entlanggefahren sind, über die Bootstypen der vergangenen Jahrhunderte und über die Menschen, die hier ihr Glück versucht und vermutlich weitgehend gefunden haben, ist sehr zu empfehlen. Es beschreibt auch eindrücklich die ökonomische Situation am Beispiel des Herings/Stockfisches, wie also der Fischfang, das Trocknen/Salzen und das Transportieren nach Grossbritannien und Nordeuropa das Überleben in diesen nördlichen Breiten über viele Generationen, ja Jahrhunderts, gesichert hat. Das alles ist in diesem Museum grossartig aufgearbeitet worden und selbst ein mehrstündiger Besuch ist so interessant, dass wir gar nicht merken, wie auch hier die Zeit vergangen ist.

Ganz anders unsere ‘Abenteuerfahrt’: Der Tour Operator geht mit einem Kollegen und insgesamt zwei RIBs in meiner Grösse, aber mit jeweils einem Dutzend wetterfest eingepackten Personen an Bord, hinaus, um in einem grossen Bogen zu einem eher kurzen Sund von wenigen hundert Metern zu gelangen, um die hier auftretenden Wasserwirbel zu erkunden. Dieses Naturschauspiel ereignet sich natürlich nur bei bestimmten Gezeitenständen, wenn Wasser durch den Sund hindurch von der einen Seite auf die andere gedrückt wird. Die dabei gebildeten Strömungen und Wasserwirbel wirken spektakulär (insbesondere von der über den Sund gespannten Brücke aus gesehen). Auch wir auf dem Boot halten respektvollen Abstand – bis ich merke, dass uns die Wirbel nie hinunterziehen könnten. Dafür ist unser Auftrieb zu gross, und der Antrieb zu stark, als dass wir da nicht wieder hinauskämen. Gleichwohl empfehle ich niemandem, hier mit einem Ruderboot zu nahe daran heranzufahren – die Strömung ist gewaltig, und für Touristen ein eindrückliches Erlebnis (aber doch nicht zu vergleichen mit dem im vergangenen Jahr, im Pentland Firth zwischen Schottland und den Orkneys, Erlebten). Viel mehr ‘Action’ bieten uns die Adlerfamilie, die wir anschliessend in einem Seitenfjord beim Fischen/Mittagessen überraschen. Wie diese riesigen Vögel um jeden Fisch streiten (der eine fängt, die anderen versuchen ihm/ihr den Fang abzujagen), ist bemerkenswert. Das ist nicht nur einmalig, sondern auch für einen nicht-Ornithologen wie mich ein einzigartiges Schauspiel. Was für ein Glück! Hierhin kommt niemand ohne Boot – und nicht ohne den Tipp unseres Tour Operators!

Die Rückfahrt wird uns aber ebenso sehr in Erinnerung bleiben: inzwischen hat sich der Wind verschärft, die Gezeitenströmung dramatisch aufbebläht, und ich versuche krampfhaft den beiden RIBs zu folgen. Überall spritzt das Wasser zu mir in den Führerstand herein, die Sicht ist eingeschränkt (Lois versucht fieberhaft, mir mit dem Gummischaber die Scheibe und damit die Sicht freizuhalten) und kalt ist es auch auf den Händen… Ich beobachte noch, wie beide vorausfahrenden Boote sich in den Wellentälern bewegen; sie scheinen sich hinter den Wellenkämmen zu ducken und so vor dem peitscheden Wind zu schützen. Wir düsen in einem nordwärts fliessenden Wellental Richtung Bodö, und es kommt mir vor wie Luky Skywalker bei Starwars, wenn er in der Schlussszene auf dem Todesstern den passenden Weg im und entlang des Grabens hindurchsteuert. Ich muss jedoch immer wieder einzelne Wellenberge ‘überhüpfen’, um ins nächste Tal zu kommen und zickzack-artig auf den Hafen zuzusteuern – ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich die (ungeübten?) Passagiere, die nichts weiter als dasitzen und bangen können, fühlen mögen. Abenteuer halt. Aber all das Beobachten und Mithalten und trotzdem adäquat Steuern wird irgendwann zu viel und ich muss mich absetzen, meinen eigenen Weg finden.

Getan – schon rauscht von schräg hinten die nächste Welle heran und ich muss mich blitzartig entscheiden, ob ich hinter dem Wellenberg sitzen bleibe oder Gas gebe… Zu spät, die Entscheidung wird mir abgenommen; ich kann die Drehung mit dem Boot nicht rechtzeitig abschliessen, und so sausen wir über den Kamm hinaus und klatschen von hinten ungespitzt in die nächste Welle vor uns – und tauchen mit dem Bug heftig ein. Hoppla! – Irgendwie scheint die ArgoFran aber wieder Auftrieb zu erhalten und der starke Motor drückt uns unablässig weiter nach vorne. Gar keine Zeit weiter zu überlegen und Kontrolle auszuüben – ja, die Kontrolle ist mir entglitten. Aber weil wir ‘im Fluss’ sind, richtet sich die ArgoFram wieder auf, das Wasser um uns herum wird herausgespült, und ich kann meiner Aufgabe als Bootsführer wieder nachkommen. Uff!

Marko hat mir immer wieder gesagt, dass Seine Boote robust sind. Keine Frage, das sind sie. Aber Unterseeboote sind sie dennoch nicht, auch nicht die ArgoFram. – Glück gehabt? Jedenfalls: mit jeder dieser Erfahrungen, mit jeder geglückten Grenzüberschreitung, werde ich spürbar kompetenter. Kann zukünftig besser einschätzen, was möglich ist, und ‘cool’ bleiben dabei. Vielleicht nicht immer die Kontrolle haben, aber wenigstens die Übersicht. Nicht Selbstüberschätzung, sondern angemessenes Reagieren, eine Art nachdrückliche Bewusstseinserweiterung, bringt mich weiter – dieser Abschnitt zurück in den sicheren Hafen von Bodö, hat mich jedenfalls enorm weitergebracht…

Lois scheint auch etwas aufgewühlt… Alle diese Erlebnisse, die Strömungswirbel, die Adler, die Heimfahrt, in so kurzer Zeit, all das muss erst einmal verdaut werden. – Wir gehen ins Fitnesscenter; sie geht direkt in die Sauna, ich unter die Hanteln (muss noch etwas ‘Ballast’ abschütteln).

Am Abend spaziere ich nochmals zum Hafen hinunter. Und geniesse diese besondere Stimmung um die mitternächtliche Sommerzeit. Die ständigen Wolken am Himmel weisen sachte darauf hin, dass es jederzeit wieder herunterprasseln kann. – Die Hafenlampen brennen auf Volllast, eigentlich überflüssig, aber sie brennen. Ein Merkwürdiges Bild, als ob wir Menschenskinder versuchten, unserer Sonne etwas entgegenzuhalten.

Die Zeit verfliesst, wird relativ. Denn es wird hier im Norden im Sommer nie mehr dunkel. Energie im Überfluss, wie es scheint. Aber das täuscht; ich muss aufpassen, dass ich nicht ausbrenne.