Heute steht uns bloss ein Katzensprung bevor: Rund 110 km oder zwei Stunden nach Klaipeda, eine Hafen- und Kulturstadt in Litauen. Zuvor haben wir versucht, bei Palanga anzulegen; Palanga ist DIE litauische Sommerferiendestination mit vielen Kilometer langen weissen Sandstränden, mit viel Volk und ausgelassener Stimmung – aber keine Anlegemöglichkeit für uns! Zwar gibt es ein Pier für grössere Kutter, und man könnte wie die vielen Wasserscooter einfach an die Sandküste auflaufen, aber das lassen wir mit einem Blick auf das Unterwasser-Relief lieber.
Viele Leute kommen mit dem Bus von Klaipeda nach Palanga, aber auch aus ganz Litauen. Hier hat es touristisch noch enormes Potenzial! – Doch nun nach Klaipeda selbst; diese Stadt ist mit über 150’000 Einwohnern immerhin fast so gross wie Basel (sie scheint auch kulturell etwas auf sich zu halten, bietet einen grossen Skulpturenpark und hochkarätige Opernfestspiele) und gibt sich redlich Mühe, um sich auch nach aussen erkennbar zu machen. Aber wer kennt schon Klaipeda?
Allen drei Baltischen Staaten gelingt es nicht so recht, auf sich aufmerksam zu machen – einerseits sind sie jeder für sich zu klein und wirtschaftlich unbedeutend, anderseits können sie gar nie zusammen auftreten, weil jedes Land eine völlig andere Sprache spricht, andere kulturelle Hintergründe hat und auch weil sie sich gegenseitig nicht sonderlich mögen.
Bei der Einfahrt nach Klaipeda werden wir über Funk zunächst etwas barsch ‘begrüsst’ und angewiesen dies und jenes zu tun, aber offenbar haben sie uns intern rasch überprüft (über AIS?) und heissen uns nun ohne jede Kontrolle willkommen. Auch in den Einkaufsläden scheint sich die etwas rüde Art aus Sowjetzeiten erhalten zu haben: Anstatt zu bedienen werden wir vom Personal angeschnauzt, zurechtgewiesen und herumbefohlen. Aber oft reicht es, wie Martina sagt, etwas ‘blond’ zu sein, stehen zu bleiben und zu warten… Auf der zwischenmenschlichen Ebene ist die Kommunikation aber erfreulich offen und unkompliziert; die Menschen sind herzlich und helfen spontan. Auch unser Hafenmeister war zunächst etwas ruppig, weicht aber bald auf (Martina!) und versorgt uns mit Tipps und Hinweisen, die schliesslich Gold wert sind. So erfahren wir beispielsweise, wie wir am nächsten Tag um die russische Enklave Kaliningrad fahren müssen, um ohne Probleme nach Danzig zu gelangen, und Obacht: Dass der einzige lokale Anbieter von Benzin für die Schifffahrt schlechte Qualität verkauft (er kaufe Restbestände der finnischen Armee, die über Jahre gelagert wurden und im Ernstfall nicht mehr verwendet werden können). So beginnen wir mit Hilfe seines unbekannt gebliebenen Kollegen, dessen Fahrzeug und zwei 25-Liter Kanistern, aus den Tankstellen am Rande der Stadt Benzin zur ArgoFram zu schleppen und umzupumpen – eine Übung, die uns, den Kollegen und den Hafenmeister bei rund 600 zu tankenden Litern von elf Uhr nachts bis morgens um drei auf Trab hält. Lieber jetzt etwas die Ärmel hinaufkrempeln, als morgen mitten in der Ostsee stehen zu bleiben. Was für ein Glück hatten wir hier!
Auch in Klaipeda laufen wir mitten ins Herz der Stadt ein. Und auch hier erwartet uns eine Vielzahl von Unterhaltungsangeboten, Eventhallen und Konzertlocations beim Jachthafen. Die Schönste aber war die nahe gelegene, auf ihre Tragelemente reduzierte ehemalige Werft, in der die bald stattfindenden Opernfestspiele geprobt werden: Den ganzen Tag über wurde in den höchsten Tönen gesungen, um die bevorstehenden Aufführungen vorzubereiten; gespielt wird, wie passend, Richard Wagners ‘Der Fliegende Holländer’! – Die Veranstaltungen seien ausverkauft; jeden Abend werden 1’500 Gäste diese Inszenierung besuchen, ein riesiger Erfolg bahnt sich an. Die Sängerinnen und Sänger sind gewissenhafte Profis, und wir geniessen gesangliche Meisterleistungen live bei Klavierbegleitung (als Orchesterersatz), zunächst vor Ort selbst (siehe Video) und später auf der ArgoFram während dem Nachtessen bei Sonnenuntergang!