Bevor wir in Asow losgefahren sind, kam Nicolai vorbei und brachte uns frisch zubereiteten Fisch – für Unterwegs … Und Alexej mahnte eindringlich: nehmt Euch in Acht. Kommt der Wind in der Bucht von Tangarog von Westen, kann er unterwegs die Wellen auftürmen und es wird sehr ungemütlich. Der Wind kam von Westen, und er kam stark … Darum habe ich mich nicht gross um Schifffahrtskorridore gekümmert, sondern einen Weg eingeschlagen, bei dem ich die Wellen frontal ‘schneiden’ konnte und der mir in Anbetracht der Situation klug erschien. Was die Küstenwache wohl in Stress versetzte und sie mir – auch wieder angesichts der Situation entlang der ehemals ukrainischen Küste – per Funk eine Richtungskorrektur aufdrückte. Also zog ich die ArgoFram zurück auf Kurs. Mit der Konsequenz, dass sich vor lauter Geschaukel die ersten Benzinkanister loslösten und von Bord flogen … Lena hangelte sich vor zum Bug, wollte die restlichen Kanister fixieren, und schon passierte das Unvorstellbare: diese eine Welle schlug derart an die Bordwand, dass Lena das Gleichgewicht verlor, vorneherüber zwischen die Kanister fiel und den Unterarm resp. das Handgelenk brach. Sie schaffte es zurück ins Cockpit, bediente mit nur einer Hand ihr Handy und fand heraus: in Jeisk gibt es ein Spital.

Meine Position: keine 30 km vom umkämpften Mariupol entfernt, ginge es entweder noch rund 250 km oder fünf bis sechs Stunden ins Asowsche Meer hinein und hindurch nach Kertsch, oder 40 km oder rund eine Stunde ‘zurück’ nach Jeisk – ich muss mich nicht entscheiden. Ich drehe um und stelle den Funk aus. Und später wieder ein, damit Lena einen medizinischen Notfall mitteilen und uns in Jeisk anmelden kann.

Jeisk ist interessant gelegen: Es gibt einen Frachthafen nördlicherseits an der Bucht von Tangarog, und ein relativ ruhig gelegenes, langgezogenes Touristen-Strandgebiet an der Südseite dieser Halbinsel, wo wir bereits vom Rettungsdienst empfangen werden. Wir werden nicht begeistert, aber immerhin kollegial aufgenommen und Lena wird sofort ins Spital gebracht. Oleg ist einer dieser Helfer, ein wahrer Kamerad. (Oleg war Fallschirmgrenadier mit über 4’000 Absprüngen und ist mittlerweile pensioniert, und hilft nun als Freiwilliger im Rettungsdienst.) Er ermöglicht es Lena, dass sie in seiner Ferienwohnung verbleiben kann, bis der sturmartige Wind vorübergeht und ihr Unterarm zumindest stabil ist. Überhaupt müssen wir uns jetzt fragen, wie es weitergeht. Unser Ziel ist Sotschi … Doch ihr Arm braucht Ruhe und Pflege.

Das Wetter spielt uns in die Hände; es ist derart übel, draussen im Asowschen Meer (nicht hier am Strand), dass wir die Tage nutzen, um uns zu erholen – ich mutiere zum sonnenbadenden Touristen, Lena bekommt einen neuen Gips, und zusammen mit Oleg erkunden wir die Umgebung, besuchen ein Oldtimer-Museum (Motorräder, Autos und Flugzeuge), das er zusammen mit seinen Vereinskollegen pflegt, und wir werden zu allerlei Aktivitäten in Olegs Familie eingeladen. Unser Glück im Unglück!