Im Grunde beginnt meine Nordlandreise erst hier, erst jetzt – von Bergen aus beginnt nicht nur geographisch und wirtschaftlich, sondern auch historisch eine neue, andere Welt: Norwegen ist ohnehin dünn besiedelt, und wird nun, je weiter ich nach Norden komme, nur noch spärlich besiedelt sein. Zudem wird der Golfstrom vom Atlantik her immer stärker Einfluss nehmen auf meine Fahrt. Und: wir kommen der Sonne immer näher, wenn die Tage nun spürbar länger werden… (schön wäre, wir würden diese Sonne auch einmal sehen).

Meine Reise beginnt auch darum von Neuem, weil meine Propeller neu sind: die Blätter sind etwas anders dimensioniert, etwas anders gewinkelt. Marko hat dies vorgeschlagen, weil er vermutet, dass die Fahreigenschaften noch etwas besser werden resp. ich damit weniger Benzin verbrauche. Entsprechend beobachte ich nun das Fahrverhalten und den Verbrauch bei unterschiedlichen Tempi, unterschiedlichem Wellengang, undsoweiter.

Wir fahren weiter durch die eindrückliche Inselwelt und nehmen Kurs auf Hardbakke. Eine kurze Fahrt, ein Angewöhnen wieder (und Vertrauen bilden) zum Eingang des Sognefjord, der von hier aus rund 200 km ins Landesinnere hineinreicht. – Hardbakke selbst ist ein Nest auf einem Haufen vorgelagerter Inseln, versteckt zwischen unzähligen Inselchen und Felsen, die den Ort hervorragend von den Einflüssen des rauen Atlantiks abschirmen. Hardbakke ist aber auch eine Art Verwaltungszentrum dieser Inselgruppe, und verfügt über eine Schule, ein Einkaufszentrum, prächtige Sportanlagen, während dem die meisten Bewohner weit verstreut in einzelnen Höfen leben.

Vorsichtig manövriere ich die ArgoFram um die aus dem Wasser aufragenden Markierungen, sichtbaren Steine und durch eine nur wenige Meter breite Einfahrt (zwischen Felsen hindurch) zum natürlichen Hafenbecken. Ein mächtiger Berg steht im Rücken dieser Ortschaft (daher der Name ‘Hard Bakke’), und ich beschliesse, sofort dort hinauf zu ‘rennen’ – was sich als eine über einstündige Wanderung durch zerklüftete Felsformationen entpuppt. Lois geht derweil einen anderen Weg, erforscht Fauna und Flora, bis wir uns zum Nachtessen wieder treffen. Ja, das können wir gut: unabhängig unsere persönlichen Interessen verfolgen und uns im Nachgang darüber austauschen, was wir beobachtet haben, wem wir begegnet sind und was wir gelernt haben dabei.

Da es nun immer länger hell bleibt am Abend, unternehmen wir noch einen Spaziergang und erfahren, was ‘Fortschritt’ hier bedeutet: Hardbakke hat von einem einflussreichen Regionalpolitiker ein neues, sehr modernes, wunderprächtiges Sanitätsboot bekommen. Ein stolzer, in leuchtendem Gelbgrün bemalter Katamaran, der die Leute auf den Inseln und den anderen ‘versteckten’ Häfen dieser Inselgruppe besuchen und dort notfalls auch kleinere Eingriffe/Operationen vorzunehmen ermöglicht. – Problem nur: das Boot ist zu gross, wenige Zentimeter nur, aber es kann gar nicht überall durchfahren oder anlegen… So steht es hier, hier stationiert mitsamt einer bestens ausgebildeten Mannschaft. Aber währenddem das alte Sanitätsboot überall durchgekommen ist, überall anlegen und die kranken/verunfallten Personen notfalls abholen und versorgen konnte, geht das nun nicht mehr so einfach. Man überlegt sich, zusätzlich ein Dinghy anzuschaffen, mitzuführen, draussen zu ankern, das Dinghy auszuwassern, zur betreffenden Anlegestelle zu fahren… Ein Witz, denn dadurch wird der Patiententransport nicht einfacher oder besser, sondern nur noch komplizierter und viel umständlicher!

Man habe den Regionalpolitiker auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, bevor das Schiff geordert wurde. Aber sie seien einfach nicht angehört worden, oder der Politiker wollte unbedingt dieses Boot beschaffen, um ‘seine’ Region weiterzuentwickeln. Fortschritt eben.

Zur Einweihung sei ein ganzer Tross aus Politikern, Medienvertretern und sonstigen Wichtigtuern von Oslo extra hierhergekommen; viele Hände wurden geschüttelt, viele weltmännisch anzusehende Fotos wurden geschossen. Danach sei dieser Tross wieder abgereist. – Nun steht dieses sicher sehr gute Boot, dieses ultramoderne kleine Spitalschiff, neben seinem Vorgänger hier im Hafen. Und leuchtet still vor sich hin.