Heute ist Samstag und offenbar Feiertag – oder gleich mehrfacher Feiertag hier in Bergen: Einerseits wird im alten Hafen eine Art Handelstag/Frühsommermarkt gefeiert, seit Ewigkeiten ein besonderer Anlass mit viel Volk in traditionellen Gewändern, dazu findet parallel eine Art Pride-Parade statt (wirkt etwas gekünstelt), und obendrein laufen einige grosse Kreuzfahrtschiffe ein (und hunderte von Tages-/Ausflugstouristen fluten die Gassen von Bryggen). Ein grosses Happening heute; überhaupt sind die Leute gut drauf, denn für einmal regnet es nicht, also nicht wirklich, lediglich ein wenig – man muss wissen: Bergen ist die regenreichste Stadt Norwegens. Ja die regenreichste Stadt Europas: rund 250 Tage im Jahr regnet es hier!

Jetzt gerade fieselt es nur, dann ist es bereits schön. Aber da diese niederprasselnde Feuchtigkeit die Leute hier nicht aufregt, selbst wenn es richtig regnet, herrscht meistens gute Laune: die Leute sind positiv, aufgestellt, ansteckend gut drauf. – So lassen auch wir uns anstecken, erkunden das überschaubare Zentrum dieser 250 tausend Leutestadt mit den unzähligen, weit verstreuten Vororten, besuchen gut designte Restaurants und Butiken sowie einen weiteren Lebensmittel-Markt (mit astronomischen Preisen), und lassen uns die angebotenen lokalen Spezialitäten schmecken.

Am Sonntag unternehmen wir einen Ausflug (einen ausgedehnten Spaziergang) auf den Hausberg, den Floyen, auf 320 Meter über Meer. Von hier aus haben wir einen herrlichen Ausblick auf… die Wolken! – Die Wolken hängen so tief und weinen sich aus, dass man vor lauter Regentropfen kaum etwas sieht. Einheimische erkennt man übrigens leicht an ihren wasserfesten Anzügen (Touristen an den Regenschirmen). Kindern und Jugendlichen, auch den Mädchen, ist der Regen scheinbar egal, die Köpfe/Haare sind jedenfalls immer etwas nass – nur Lois kauft sich einen original Bergen Wasserhut, eine Art Seemanns-Sturmkappe (in unverdächtigem Grün statt knallgelb), und versucht sich auf diese Weise zu assimilieren.

Schon ist es Montag, und wir machen etwas, was zwar in meinem Fokus lag, aber unmöglich planbar war: Wir besteigen den Zug ins norwegische Hochland und fahren nach Myrdal! An Gletschern und an tobenden Wasserläufen vorbei gelangen wir zu diesem Flecken mit etwa zehn Häusern, von wo aus eine der spektakulärsten Bahnstrecken Europas ihren Anfang nimmt, die Schmalspurbahn nach Flam! – Beim Umsteigen bemerke ich, wie wir von hier aus auch mit Mietvelos nach Flam hinunter rasen könnten… Nun gut, es wird nass werden (was sonst), aber spannend. Und ich hätte was gemacht, körperlich… Lois zieht es jedoch vor, die Aussicht vom bequemen Fauteuil aus zu geniessen, schliesslich ist sie hier in den Ferien. Gesagt, getan: ich wechsle rasch entschlossen aufs Velo, und ihr Zug fährt auch schon los.

Kaum unterwegs sehe ich einen Wegweiser, der zu einer Zipline führt (auch Flying Fox, Seilrutsche oder Tyrolienne genannt). Und dann sehe ist es, das Kabel, das Mutige an einem Gurtzeug hängend in die Tiefe sausen lässt: fast 1’400 Meter lang, über 300 Meter Höhendifferenz – angeblich die längste Talfahrt am Seil in ganz Skandinavien, schon beim blossen Anblick atemberaubend!

Nun, ich überlege hin und her – aber wenn ich schon mal hier bin, das Zugsticket haben verfallen lassen, so könnte ich auch auf die Abfahrt mit dem Velo verzichten, und für bescheidene 70 Franken (…) zusätzlich eine superrasante Fahrt ins Tal erkaufen.

Mein Herz schlägt heftig, sehr heftig sogar, als ich mich in die Gurte packen lasse (das Velo wird nach mir in die Tiefe sausen gelassen, aber ich denke, das Velo macht sich nicht so viele Gedanken wie ich). Dann geht’s los, die Bremsbacken lösen sich, und ich nehme langsam aber stetig Fahrt auf. Huuuuuuch, jeahhh!

Die letzten Kilometer nach Flam führen mich wieder per Velo an tosenden Wasserfällen vorbei in die kleine Ortschaft am Sognefjord, dem längsten und wohl auch eindrücklichsten Fjord in Norwegen. – Lois hat derweil einen Kaffee an der Sonne (!) genossen und erwartet mich schon; sie zeigt mir nun, wie es weitergeht: mit einem niegelnagelneuen Elektro-Katamaran auf eben diesem Fjord an hohen Felshängen entlang bis nach Gudvangen.

Diese eindrückliche fahrt ist darum so begeisternd, weil ich erstens nichts machen muss ausser staunen, und zweitens ist dieses Ausflugsboot wie von einem anderen Planeten: unkonventionell, schön, geräumig, funktional – wie geschaffen für ruhige Gewässer und gutzahlende Touristen.

Dann geht es per Bus wieder hinauf ins Hochland, wo wir in den Zug einsteigen, und hinunter Richtung Bergen. Eine wunderschöne, eintägige Erlebnisreise – nie, wirklich nie hätte ich so etwas gebucht (weil ich während meinen Vorbereitungen gar nicht daran gedacht habe, überhaupt ins Landesinnere vorzudringen). Nun aber schreibe ich darüber sogar einen eigenen Blog…

Auf der Rückfahrt nach Bergen erfahre ich, dass die Motoren und Propeller bereits morgen eintreffen und an der ArgoFram montiert werden können. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und nehme dieses Geschenk, woher auch immer, dankend an.

Also: Nachtessen, Wetterprognosen studieren, Routen sondieren, schlafen. Bald geht es weiter!