
Die Ausfahrt aus diesem Sund ist spektakulär: abenteuerlich dreinschauende, zum Teil riesige Spezialschiffe warten hier darauf, in die unberechenbare See hinauszufahren und gute Arbeit zu verrichten. Es ist offensichtlich: Norwegen kann Schiffli bauen… Die sind mit allen Wassern gewaschen!
Wir haben uns vorgenommen, heute ‘nur’ bis Bergen zu fahren, der ehemals wichtigste Handelsplatz und die erste Universitätsstadt (sowie zeitweilige Hauptstadt) Norwegens, und das Zentrum der Seeschifffahrt heute. Gute drei Stunden, schätze ich. Easy going, denn der Kurs wird vom Autopiloten berechnet und ich lasse mich von dieser Empfehlung durch die unzähligen Wasserstrassen zwischen den grossen und Wir sind bald da – dann plötzlich: rrrumps!
Jetzt ist es passiert, das spüre ich sofort: Grundberührung! Ich muss auf etwas aufgelaufen sein, in diesen engen Passagen. Sofort drehe ich nach links auf einen Steg zu, um nachzusehen. Hebe die Motoren an, und erkenne, dass die Propeller deformiert sind. Und einer der beiden Motoren rasselt zudem kläglich – kaputt. Mit einem Motor fahre ich weiter, sehe bei einem der vielen nun auftauchenden Anlegestellen einen Galgen, und lasse die ArgoFram hochziehen. Am Rumpf selbst sind ausser Farbkratzern keine Schäden feststellbar; wenn nur die Propeller kaputt sind, hätte ich Glück gehabt…
Auf der interaktiven Karte suche ich nach dem nächsten Suzuki-Dealer und wir fahren hin – es ist Freitag, bald ist Mittag, mal sehen was machbar ist… Die Leute hier sind unkompliziert, heben die ArgoFram erneut aus dem Wasser, untersuchen die Mechanik und schütteln die Köpfe. Auch die Gear-Box ist bei beiden Motoren dahin. Marko wird angerufen, er sucht umgehend nach verfügbaren Ersatzteilen. Derweil die Damen und Herren dieser Werft ihre Kanäle ausloten. Resultat: In der EU ist ein einziges passendes Endstück vorhanden – aber in Norwegen, ausserhalb der EU und neu in einem Einkaufsverbund mit England, sind zwei passende Endstücke vorhanden. Gerade noch zwei!
Nun kontaktiere ich Murette, meine Versicherung. Schicke Fotoaufnahmen. Und einen Screenshot vom Navigationssystem, der belegt, dass ich entlang der vorgeschriebenen Route gefahren bin. Da sollte es zwar keine Hindernisse im Wasser geben, sollte… Aber die Versicherung steht mir bei, klärt intern das weitere Vorgehen ab, und bestätigt, dass der Schaden übernommen wird. Umgehend.
Die Leute hier in der Werft bestellen sogleich die beiden Ersatzteile und zwei neue Propeller – uff.
Erst jetzt komme ich langsam zur Ruhe, resp. erkenne meine enorme innere Spannung, die da fieberartig aufgekommen sein musste. Und setze mich erst einmal. Lois übernimmt, schaut nach wo wir eine Unterkunft finden, und entscheidet sich für ein kleines rustikales Apartment in einem Altstadtquartier etwas ausserhalb des touristischen Zentrums. Wenn schon, denn schon! – Wenn wir schon blockiert sind und nicht auf dem Boot nächtigen können, nutzen wir diese uns geschenkte Zeit als Chance, in dieses Bergen einzutauchen und so viel wie möglich davon aufzunehmen. Und es uns gut gehen zu lassen.
Jetzt erst bemerke ich, wie viel Glück im Unglück ich habe: Wir sind gesund und wohlbehalten; die passenden Motorenteile sind verfügbar (und werden express geliefert), die Versicherung macht mit und bietet ihre volle Unterstützung an – Dank an die Verantwortlichen von Murette! – genauso wie den Mitarbeitenden dieser Werft, zu der ich mehr durch Zufall als durch Verstand gekommen bin.
Nun packen wir aus: zwei Rücksäcke, einen Rollkoffer voller Kleider, den Laptop. Und steigen in den öffentlichen Bus, der uns in wenigen Minuten ins Zentrum Bergens bringt. Von dort aus marschieren wir zu ‘unserem’ Stadtteil, machen es uns in der Ferienwohnung bequem – aber ich kann jetzt nicht, muss mich zuerst etwas bewegen. Also jogge ich umgehend zurück zur historischen Altstadt, nach Bryggen, das im 14. Jahrhundert als Niederlassung des Handelsimperiums der Hanse aufgebaut wurde (und mittlerweile unter Denkmalschutz steht). Die Luft, der Nieselregen, die entspannte Atmosphäre hier, alles tut mir gut.
Was für ein Tag!