
Wir wachen auf und merken: Schlechtwetter kommt rasch näher – wir müssen los!
Lois wird in einem Crashkurs auf die bevorstehende Fahrt vorbereitet. Die Wetterdaten zeigen, dass von Osten her böige Verhältnisse aufkommen, die eine Weiterfahrt bald verunmöglichen. Wenn wir nicht sofort aufbrechen, bleiben wir für Tage blockiert. Eine Diskussion erübrigt sich.
Draussen im offenen Meer luftet es bereits, entsprechend schaukeln wir hin und her. Ich beschleunige auf unsere Reisegeschwindigkeit, wir brettern durch die Wellenspitzen – es rüttelt gewaltig. Lois scheint dies nichts auszumachen, ist halt so… Nach etwa drei Stunden Fahrt erreichen wir Kristiansand. Ich tanke und Lois fragt in einem geschlossenen Restaurant nach, ob sie uns etwas zubereiten könnten – und tatsächlich, sie hat Erfolg!
Wir unterhalten uns hervorragend mit den Betreibern, merken aber auch, dass uns das Schlechtwetter auf den Versen folgt. Also steigen wir, mit einer feinen Fischsuppe gestärkt, wieder ein und weiter geht’s ‘um den Rank’, um die südlichste Spitze Norwegens hinüber zur Westküste. Weitere drei Stunden später fahren wir durch den Egersund – gefüllt mit mächtigen Fischereischiffen, mit kurligen Wartungsschiffen, ja einer riesigen Fischerei- und Schifffahrtsindustrie.
Das liebliche Bild vom naturverbundenen Norwegen erhält Risse… Hier wird alles getan, um in der rauen Natur zu bestehen, ja mehr noch: um die wertvollen Früchte der aus dieser Natur zu ernten. – Ich tanke, und Lois unterhält sich mit Mitarbeitern der umliegenden Flottenverbände. Sie erfährt so manches über die Menschen hier, über die Region, und über den aufkommenden Wind…
Weiter, beschliessen wir, lass uns noch Richtung Stavanger fahren. – Je weiter wir an der Westküste Norwegens Richtung Norden kommen, desto besser. Also fahren wir weitere drei Stunden, auch noch quer durch die Bucht vor Stavanger, in einen der vielen Wasseradern hinein zu einer Ortschaft namens Haugesund: einer schon fast explosionsartig expandierenden Hafenstadt, die als boomendes Logistikzentrum für die Oelförderanlagen vor der Küste, und gleichzeitig als Siedlungsraum für die Arbeiterschaft und deren Familien dient.
Whow, mindestens 450 km haben wir heute zurückgelegt, das ging flott – auf der Karte sehen wir, dass wir in einem Rutsch die gesamte Südküste Norwegens umfahren haben! Das wäre, hätten wir das geplant, ‘unvorstellbar’ gewesen. Mir aber macht das Mut; im Hinblick auf meine weitere Reise weiss ich nun, was tatsächlich möglich ist.
Was nehmen wir mit vom heutigen Tag? – Punktuell haben wir Kontakte geknüpft, aber eigentlich sind wir nur dem drohenden Unbill davongefahren. Von hier an sind wir nicht mehr dem offenen Meer ausgesetzt, sondern können immer mal wieder im Schutz der Inselwelt nach Norden fahren. Nun sollte es ruhiger werden!
Der neu erstellte Jachthafen hier in Haugesund ist auch spätabends noch sehr belebt. Nebenan haben unzählige Wikinger-Nachbauboote angelegt – dieser Tage soll es ein Treffen dieser Hobby-Wikinger geben, die aus ganz Norwegen, angetrieben mit Muskelkraft und Windunterstützung, hier zusammenfinden… Für mich hat das etwas Karnevalartiges, etwas Trotziges auch. Denn wir sind umgeben von Hightech-Schiffen in einem zunehmend von Industrierobotern geprägten Land. Da hat es doch etwas Nostalgisches, etwas Sozial-Romantisches auch, sich in Leinenkutten zu werfen und in schnittigen Holzbooten die nicht ungefährlichen Küsten entlangzuhangeln. (Auch bei uns gibt es diese Rückbesinnung auf Traditionen, auf das Berglertum, das verklärt wird und als Kraftspender für die unglaublich raschen sozialen und technologischen Umwälzungen dient.)
In einem nahen Hotel können wir duschen (die neuen Hafenanlagen funktionieren noch nicht), essen am Pier noch eine mit Heisswasser rasch zubereitete Mahlzeit, und legen uns schlafen – ein überlanger Tag, mit Vollgas hinein in die vom Meer geprägte Lebenswirklichkeit Norwegens, hat uns total müde gemacht.