
Die Rhone ist wie der Rhein ein Transportgewässer; die langgezogenen Güterschiffe fahren Tag und Nacht. Trotzdem finde ich Schlaf. Es regnet und es ist merklich kälter geworden. Sobald der Tag anbricht, schleuse ich mit dem nächsten Kahn nach oben und fahre zu einer Marina beim nahe gelegenen Valence.
Wunderbar, denke ich. Hier finde ich eine Tankstelle und endlich eine Toilette. Sogar eine Dusche ist vorhanden und es tut gut, mich vom warmen Wasserstrahl berieseln zu lassen. – Eine Sekretärin ist anwesend und wir kommen rasch ins Gespräch; sie lässt mich in einer Nische etwas kochen und gibt mir Tipps zur Umgebung. Hier kann ich auch meinen Laptop hervornehmen und im Trockenen und an der Wärme einige Arbeiten erledigen.
Später schnappe ich mein Velo und fahre zu einem nahegelegenen Einkaufszentrum. Und ich merke, wie gespalten und gereizt diese Gesellschaft weiterhin ist: Schon entlang der Atlantikküste konnte ich in einigen Restaurants etwas essen, in anderen nicht – Corona treibt regionale Blüten. Hier scheint es wieder besonders streng zu sein; im Büro herrscht offiziell Maskenpflicht, ausser wir sind unbeobachtet in einer Marina… Im Einkaufszentrum versuche ich ein Mittagessen zu bekommen, aber selbst in der Selbstbedienung gibt es hier ohne ‘passe sanitaire’ rein Garnichts!
Niemand versteht was genau abgeht, alle zucken die Schultern, reklamieren mehr oder weniger deutlich, aber die Regierung hat das Gros der Bevölkerung im Griff.
Ich fahre zurück, decke, als der Regen wieder einsetzt, mit der mitgeführten Plache meine Kabine ab (irgendwie scheint ansonsten Regenwasser einzudringen, und das mag ich gar nicht), verabschiede mich bei der netten Dame, und fahre weiter. Immer weiter. Meine Tage scheinen nur noch aus Fahren zu bestehen – ich will weiter, nach Hause.
Kurz vor Lyon, wieder bei einer Schleuse, wiederholt sich das Spiel vom Vorabend: anlegen, essen, schlafen. Keine sehenswerte Umgebung, keine Toilette, kein Strom.
Bin ich schlecht vorbereitet oder einfach nur naiv? Aber ich mag nicht planen, nicht alles vorwegnehmen, sondern möchte mich – wie das ganze bisherige halbe Jahr – immer von neuem überraschen lassen. So fahre ich weiter, flussaufwärts, tiefer und tiefer in den Kontinent hinein. Alles um mich herum ist garstig; es ist Herbst, auch im übertragenen Sinn. – Der ewige Sommer, den ich seit Mai in jeder Hinsicht erleben durfte, geht nun definitiv zu Ende.