Der Tag beginnt gut. Sonne allüberall. Auf den Wetter-Wellen-Apps wurde zwar eine Dünung von 3,8 Metern angekündigt (das heisst, 70 % der der ‘Wellen’ sind unter 3,8 Meter Höhe…), aber da die Wasserberge hier im Atlantik weit auseinander liegen, zwischen 10 und 12 Sekunden, und kaum Wind weht, verspricht die Fahrt äusserst unterhaltsam zu werden. Und machbar.

Tatsächlich gleite ich von einem Wasserwellenberg zum nächsten, muss dann und wann Tempo zurücknehmen (oder ‘diagonal’ fahren, weil ich ansonsten beim Kulminationspunkt zu sehr abhebe), und ich staune erneut mit welcher Gelassenheit ich hier aussenrum fahre – aussenrum, weil bald der markante Leuchtturm von Sagres sichtbar wird, bei dem ich meinen Kurs von Süden nach Osten ausrichte, vom Atlantik Richtung Mittelmeer: ich passiere den südwestlichsten Punkt des europäischen Festlandes, ein starkes Gefühl!

Auch hier in Sagres war ich schon mal, mit dem Velo von Porto herkommend, stand an genau diesem Punkt, beim Leuchtturm, und schaute voller Bedenken hinunter aufs Meer, das mir schaurig Ehrfurcht einflösste – weil die Dünungswellen unermüdlich und unerbittlich am Fusse dieses Hangs ans Ufer schlugen. Ich sah diese Wucht des anbrandenden Meeres und dachte unheilvolles, und dennoch sagte ich meiner damaligen Begleiterin: hier möchte ich dann vorbeikommen, und den Leuchtturm von unten grüssen…

Das tue ich nun, und erst noch von der ‘falschen’ Seite – angedacht war, dass ich auf der letzten Etappe meiner Circumnavigation hier vorbei käme, vom Mittelmeer in den Atlantik einfahre… Und nun ist’s grad umgekehrt!

Es fühlt sich sehr gut an.

Ich bin hier, an der südwestlichsten Ecke Europas, und meine ArgoFram trägt mich durch die Wogen. Obschon mir die aufkommenden, alles durchdringenden Strömungen, die ich mit jeder Faser spüre, erneut einen Schauder den Rücken hinunterjagen. Atlantik und Mittelmeer scheinen sich mit immer neuen Griffen zu umarmen, und ich mittendrin!

Freudestrahlend lege ich im kleinen Fischerhafen von Sagres an, jeeh, geschafft. Fühle mich gross und voller Tatendrang. Schnappe mein Klappvelo, fahre hinauf, an der ehemaligen Seefahrtsschule (gegründet im 15 Jahrhundert, von wo aus die ersten Westafrika-Expeditionen aufgebrochen sind) vorbei, auch vorbei an der wohl berühmtesten Wurstbude Portugals zum markanten Leuchtturm, dessen Licht eine Tragweite von 90 km aufweist und damit das stärkste Leuchtfeuer Europas sein soll.

Da stehe ich nun wieder… Schaue hinunter in die Brandungswellen… Und werde still und ganz klein.

Nun denn, ich will weiter, ‘muss’ nachher wieder ins Boot steigen, bin noch nicht am Ziel. Ja, die ArgoFram trägt mich wohlwollend (und fehlerverzeihend), aber steuern und entscheiden muss ich selbst; hellhörig und wach bleiben schützt vor allzu bösen Überraschungen… Bescheidenheit hilft.

Zurück zum Hafen, wieder vorbei an der Wurstbude – unmöglich, dieser Grillwagen, aber hervorragend gemacht. Und auch in der Nachsaison von Touristen belagert.

Weiter geht’s nach Villamora, einem sehr schicken Hafen an der Algarve, hochwertig, mit grossen Jachten an prominenter Lage direkt hinter der Hafeneinfahrt, am Pier gegenüber jenem Luxushotel, wo die Jachteigner absteigen (während der Staff das Boot auf Hochglanz trimmt). Mich verbannen sie in die hinteren Gefilden, jöööh, ich will doch auch dazugehören; die ArgoFram ist doch auch eine Jacht, erst noch Kategorie B (Hochseetauglich), aber das interessiert hier niemanden.

So lande ich bei den Habenichtsen; um mich herum Jachten, die mindestens das Doppelte kosten (und viermal trendiger aussehen, natürlich mit Soundanlage und Icemaker ausgerüstet…) und von erstaunlich jungem Volk (männlich, in Shorts, mit Sonnenbrille und üppigem Haar) präsentiert werden. Nun, ich muss duschen gehen, mache auch gleich eine erste Wäsche; dieser Hafen bietet alle Annehmlichkeiten, ohne Wenn und Aber.

Um das Hafenbecken herum, da wird flaniert, und wie! Es gibt viel mehr ‘beautiful people’ als Boote (und es gibt viele Bote hier, sehr viele); aufgetakelte Frauen und artig gebürstete Männer, die gestylt und andächtig den Piers entlangschlendern – sehen und gesehen werden… Bis ich es begreife: hierher kommen Feriengäste, die sich wunderwas vorstellen von dieser Welt der Jachten mit ihren ‘wealthy people’. Die Leute, die hier den Piers fast schon andächtig entlanggehen, werden sich nie eine Jacht leisten, aber sie spielen in Gedanken durch, wie es wohl wäre, wenn… Und so auch ein wenig dazugehören wollen. (So wie ich, der nicht gerne in den hinteren Rängen andocken möchte.)

So leisten sich diese Flaneure in den überteuerten Boutiquen das eine oder andere Accessoire, aber vor allem genehmigen sie sich ein nicht gerade günstiges Essen oder ein fancy Dessert oder zumindest einen coolen Drink in einem der über zwei Dutzend Restaurants und Bars rund um das Hafenbecken. Ein Ferienerlebnis der oberen Hubraumklasse (andere gehen ins Casino, um sich der Täuschung hinzugeben).

Auch ich tauche ein in diese wunderliche Welt, insbesondere am nächsten Tag: 5-Sterne-Resort, Golfplatz, prächtige Sandstrände, alles da – aber ich fahre nach einem ausgedehnten Mittagsschlaf mit meinem Velöli auch in die nahe gelegene Stadt, dort wo die dicht aneinandergebauten Hotelburgen die Touristen aufnehmen, die dann von hier aus gegen Abend wieder zum Hafen pilgern…