Ich bin viel zu früh wach, als dass die Capitainerie bereits geöffnet wäre… Also schnappe ich mir nochmals ein Velo und fahre etwas in der Gegend umher. Dabei begegne ich typisch bretonischen Kirchen, steinig-grau, erbaut im späten Mittelalter, mit ihren nebenan stehenden Beinhäusern und den eindrücklichen, ebenfalls vor den Kirchen stehenden Stein-Kreuzen. Diese sogenannten ‘Calvaires’ sind mir noch von einer Studienreise mit einer guten Freundin bekannt – ganze Kreuzigungsgruppen bis hin zur Heilsverkündung und somit die Geschichte Jesus werden eindrücklich dargestellt und waren gedacht für all jene, die weder die Bibel lesen noch die lateinische Messe überhaupt verstehen konnten, also für praktisch alle, die zur Kirche kamen. Eine Art Comic in Stein gehauen, oder wie Standbild-Serien auf dem Handy. Solcherlei Geschichten prägen sich ein!

Später erledige ich die Nachmeldung bei der Capitainerie, blickte auf das ausufernde Formular… und frage in die am ‘Petit Suisse’ und seinem Schlauchboot Interessierten hier, welchen nächsten Ort sie mir empfehlen könnten (wer fragt führt, dann lass ich sie reden; nebenbei fülle ich das Formular aus, pro forma, mit etlichen Lücken; es wird vom Hafenteam ungelesen abgelegt – Bienvenue en France).

Es ist Anfang September, und erstaunlicherweise noch immer Sommer, wirklich sonnig und warm (überraschend viel wärmer als gestern in England), aber alle sprechen bereits vom Unwetter, das bald folgen soll. Ja, diese Aussicht drückt etwas in meinen Nacken, hält aber gleichzeitig meinen Kopf klar, so dass ich nicht zu jufflen beginne. Vielleicht kann ich die aktuell guten Bedingungen ausnutzen und zwischen den Fronten ‘hindurchschlüpfen’? Lege halt einfach etwas längere Distanzen pro Tag zurück, sehe weniger Ortschaften. Dafür weiterhin mit offenen Augen: ‘Reduce to the max.’

Ich sauge hier in Loctudy noch einmal die ‘leichte’ Stimmung ein (was für ein Gegensatz zum zwar humorvollen, aber dauertrüben ‘schweren’ England, und fahre am frühen Nachmittag dann mal los, ohne den Zielort zu kennen. Ich nutze die spiegelglatte See zum Tagträumen, bis ich wieder Kontakt mit Delfinen habe und noch einmal unter ihnen weile. – Je länger ich fahre desto klarer kristallisiert sich heraus, dass ich heute nicht am Festland, sondern auf einer vorgelagerten Insel anlegen und übernachten möchte, um morgen Royan anzulaufen. Ich nehme nun gewissermassen den direkten Weg und fahre bis nach Île d’Yeu; damit bewege mich schon am nördlichen Rand der Biskaya.

Ähnlich wie gestern laufe ich auch heute am späten Nachmittag im Hafen ein, diesmal in Port Joinville. Die Capitainerie ist geschlossen, auch die Stimmung dünkt mich seit dem Festmachen am Pier etwas merkwürdig, auf eine unangenehme Art touristisiert: Die Leute sind eher reserviert, sind auch eher Ausflügler, die vom Festland (von Nantes?) einen Sprung hierherwagen, im eigenen Boot oder mit der Fähre kommend, um auf dieser Ferieninsel noch etwas Sommerfeeling einzufangen.

Beim Abendspaziergang schmerzt meine rechte Achillessehne, saublöd. Waren meine Sprünge, die ich in Newlyn gemacht habe, doch etwas viel oder ausserhalb der Routine? – Ich erinnere mich gut, nach den ‘geilen’ Sprungserien an der riesigen Treppe vor der Kathedrale in Helsinki hatte ich wochenlang eine Entzündung mitgeschleppt; kommt sie nun wieder hoch? Also humple ich mehr als dass ich gehe Richtung den nett dreinschauenden Hafenbeizen, setze mich hin, bestelle der Stimmung entsprechend eine Crêpe, und erfreue mich am gelungenen Tag. Vielleicht etwas zu früh; kaum kommt die Crêpe, möchte man meinen Passe Sanitaire sehen, also kontrollieren ob ich geimpft bin… Meine Crêpe wird zurückgebracht, in eine Kartonschachtel gestopft, und ich werde relativ unwirsch von meinem Einzeltischchen weggewiesen – und esse die Crêpe halt nebenan auf der öffentlichen Parkbank. Bon Appetit.