
Nach dem Frühstück gehe ich zum Hafenmeister, bezahle, und werde wiederum sehr freundlich bedient. Duschen, Toilettenanlagen etc., alles tiptop. Auch von der Dame im Tourismusbüro, die im selben Gebäude die Gäste empfängt, erhalte ich ungefragt wertvolles Wissen zur Region. Im Hafen mache ich mich dann bereit für die rund vierstündige Fahrt ‘hinüber’ zur Isle Of Man – aber da sagt mir einer der anderen Bootsführer, dass er von Seglern gehört habe, die nicht einreisen durften und vor Douglas lange vor Anker lagen… Also schaue ich nach, telefoniere, und tatsächlich: Diese Insel, die wie Guernsey und Jersey innerhalb Grossbritanniens einen autonomen Status besitzen und diesen höchst erfolgreich pflegen, spielt sein eigenes Corona-Spiel und macht die Schotten dicht. Lässt niemanden rein, der nicht x-fach geimpft ist und getestet dazu!
Uff bin ich froh, dass ich im letzten Augenblick darauf aufmerksam gemacht worden bin – es ist wirklich fein, wie die Leute hier in Ballycastle aufmerksam auf mich zukommen und mit Tipps nicht zurückhalten – ohne aufdringlich zu werden. Das ist mir auch in Wick so ergangen; beides Ortschaften in absoluten Randgebieten, Wick im Nordosten Schottlands, Ballycastle im Nordosten Nordirlands. Sie scheinen einen besonderen Menschenschlag hervorzubringen. Sehr wohltuend, sehr einladend – ich gehe trotzdem weiter. Nun, sehr spontan halt, nach Belfast. Und kaum erfährt die Lady vom Tourismusbüro davon, kommt sie mir nachgesprungen und beliefert ich mit Prospekten und weiteren Informationen zu meinem nächsten Ziel. So lovely!
Also blättere ich mich durch die Unterlagen, schaue nach, setze mich hin und nehme mir die nötige Zeit (Belfast ist ja relativ nahe), und gehe dann doch noch zum Strand hinüber, wo die Jungs von der Seerettung gerade ihre Fahnen aufrichten. Ihr Tag beginnt; die Saison dauert nicht mehr lange, bis dahin überwachen sie diesen Strand und trainieren regelmässig ihre Künste mit dem (Rettungs-) Surfbrett. Das Wetter ist OK, das Wasser sehr frisch, es hat schon einige Wellen, und ich genehmige mir den Morgenschwumm.
Dann heisst es Leinen los; die Fahrt beginnt gemütlich, glatte See in der Bucht vor Ballycastle – bis sich das Bild schlagartig ändert: Noch etwa 100 Meter, dort tut sich eine Wellenbank auf mit nicht freundlich dreinschauender Gischt. Ich fahre direkt drauf zu, zücke noch das Handy, um das Spektakel aufzunehmen, und reduziere im letzten Moment das Tempo von 60 auf ca. 45 km/h, ganz intuitiv. Wollte scheinbar doch nicht zu forsch in/auf diese Welle aufsteigen. Doch die ArgoFram zieht durch’s Wasser, als ob nichts wäre. Klar schüttelt es mich durch, aber sie hebt nicht ab, macht keine ‘Freudensprünge’. Dann folgen Wirbel an Wirbel, Strudel an Strudel, immer wieder durchzogen mit diesen merkwürdigen ‘stehenden’ Wellen – hier müssen Meeresströmungen aufeinanderkrachen; hier muss unter der Wasseroberfläche der Teufel los sein. (Ich habe mich ‘natürlich’ wieder mal nur mit Land und Leuten beschäftigt, aber ich habe mich nicht erkundigt, auf was ich achten müsse beim Durchqueren dieser Stellen zwischen der vorgelagerten Insel. Ich habe an überhaupt nichts gedacht, auch keine Gezeitentabelle angeschaut. Hab nicht mal gewusst, dass es hier überhaupt solch heikle Stellen gibt, resp. ich habe die schon etwas merkwürdige Einfahrt von gestern bereits verdrängt und erfolgreich vergessen. – Beginne ich mein Anfängerglück zu strapazieren?)
Das Spektakel dauert nur wenige Minuten, ein paar Kilometer, wiederholt sich aber kurze Zeit später! – Whow, denke ich, dieses Boot ist echt gemacht dafür. Auch ich bleibe erstaunlich gefasst. Kommentiere direkt in die Aufnahme hinein was ich erlebe. Da gefalle ich mir, irgendwie.
Zwei Stunden später laufe ich in Belfast ein. – Belfast ist ein traditionsreicher, auch heute noch wichtiger Hafen, ein grosser Hafen mit vielen Werften. Und einer spannenden Geschichte. Bestens aufgearbeitet im Titanic Museum, das in einem ehemaligen Werftgebiert (wo die Titanic und ihre Schwesternschiffe gebaut worden sind) errichtet worden ist und klar zu verstehen gibt: Schwerindustrie, das war einmal. Dienstleistungen prägen die Zukunft, zumindest bereitet man sich darauf vor. Und wenn man sehen will, wie heutzutage Geschichte aufgearbeitet und präsentiert wird, hier findet man das beste Beispiel dafür – Leute, dieses Museum ist beinahe 10 Jahre alt, aber immer noch weit voraus. Edutainment at it’s best. Das müsst ihr erlebt haben! So geht Museum heute!
Später gehe ich noch zum Abendspaziergang ins Zentrum. Aber Belfast bleibt Belfast, kommt trotz grossen Bemühungen nicht aus seinem Image heraus: Irgendwie trostlos, irgendwie zerrissen, irgendwie abgehängt. Immer noch. – Wie zum Trotz wird in den Pubs die Tristesse weggejolt (und weggetrunken); laute Musik durchströmt die alten engen Gassen. Trotzig auch tanzende junge Menschen auf ihren mobilen Bar- und DJ-Wagen. Die älteren hocken zusammen und prosten sich zu, direkt unter den übergrossen Plakaten an den Hauswänden, die zum Distanzhalten auffordern.