
Meine Fahrt von Wick nach Inverness verläuft problemlos: Verabschiedung bei allen diesen beeindruckend Engagierten im Hafen von Wick, entspannt Cruisen, vor der ersten Schleuse zum Caledonian Canal anlegen und dessen Anmelde-Prozedere (Schottische Verwaltungseinheit…) über mich ergehen lassen. – Was mich während der Fahrt beschäftigt ist die Tatsache, dass ich wetterbedingt nicht um die Nordwest-Ecke Schottlands fahre und entsprechend bei den Äusseren Hebriden nicht vorbeischauen werde. Um dafür durch den Great Glen resp. durch den Caledonian Canal (der 1822 fertiggestellt wurde) zu fahren.
Ich habe diesen Entscheid, durch den Great Glen zu fahren, vor ein paar Tagen als nicht besonders sexy bezeichnet – wo ist schon die seemännische Herausforderung, durch diese aufregend schöne Gegend zu fahren? – Bin ich vom Pfad der ‘Circumnavigate Philosophie’ abgewichen?
Spannend, dass ich mein Tun so selbstkritisch über die konkrete Ausgestaltung der geographischen Route hinterfrage und bewerte. Tatsächlich schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Die geografische und die soziale Route! – Solange beide Routen kongruent sind, ist alles perfekt. Nun aber haben sie sich auseinander bewegt; der Weg zu den Äusseren Hebriden ist ‘Niemandsland’, kein Hafen weit und breit (und keine Infrastruktur und somit kein Benzin) und darum auch keine Begegnungsmöglichkeiten. Dafür aktuell eine Menge Wetterunbill.
Die Route durch den Great Glen hingegen bringt mich zu den Menschen, die im nördlichen Schottland eine Lebensgrundlage gefunden oder geschaffen haben. Und weil der Great Glen mit seinen Seen, allen Voran dem Loch Ness, eine touristisch sehr hoch frequentierte Gegend ist, gibt es bestimmt auch viel zu beobachten (Tourist beobachtet Touristen…). Ich habe mich dafür entschieden.
Am Steg beim Jachthafen im Kanal ‘hinter’ Inverness angelegt, muss ich zuerst tanken gehen; ich möchte meine Tanks möglichst aufgefüllt haben, so dass ich mich auch auf der Westseite Schottlands, in der Inselwelt der Inneren Hebriden (wo weniger Menschen leben als hier) frei bewegen kann. – Bei der Rückkehr von der Autotankstelle liegt mir gegenüber ein RIB, das nach demselben Konzept konstruiert zu sein scheint wie meine ArgoFram – habe ich hier Seelenverwandte gefunden?
Dieses Schlauchboot ist etwas kleiner, mit einer geschlossenen Kabine in der Mitte des Rumpfes, und mit einem mobilen Zelt zum Schlafen am Heck. Und: Es hat einen Diesel-Aussenbord-Motor – Diesel gibt es im Gegensatz zu Benzin in jedem Hafen in Great Britain!
Diejenigen, die mit diesem RIB hierhergekommen sind, wissen also genau was es braucht, um in dieser Gegend unabhängig zu reisen resp. Ferien zu machen. Und tatsächlich begegnet mit ein Paar, das weitgehend autonom reisen und ‘die Heimat’ geniessen will: Er ist Ingenieur und pensionierter Physik-Lehrer, sie ‘his beautiful wife’ und zusammen sind sie ein tolles, voll aufeinander abgestimmtes Paar. Sie sind sehr aufmerksam, und nachdem wir uns etwas kennengelernt haben, laden sie mich zum Afternoon-Tea auf ihr Boot ein (und servieren liebevoll zubereitete Leckereien). Dabei reden wir über den Irrsinn der gegenwärtigen Zeit, und ich begreife mehr und mehr, was sich hinter der Fassade jener Schotten verbirgt, die mit der aktuellen Politik nicht einverstanden, aber in der Minderheit sind. (So erläutert mir dieser Bootsbauer, wie zittrig die aktuelle Koalition in Schottland unterwegs ist: Die SNP von Frau Sturgeon will zuerst die Unabhängigkeit und dann ans Ölgeschaft, die Grünen als Koalitionspartner wollen die Welt retten und dafür an die Macht.)
Um die Macht zu halten resp. um an sie heranzukommen, sind beide Parteien bereit, miteinander ins Bett zu gehen. Konflikte sind vorprogrammiert; wunderschön ist dies beim Thema Öl zu sehen: Die SNP kann nur mit dem Öl den Traum der schottischen Unabhängigkeit finanzieren, während dem die Grünen das Öl richtiggehend verteufeln – Öl sei böse und die Ölfelder vor der Küste gehören geschlossen… – Dass Kunststoffe und Medikamente und noch vieles mehr auf der Grundlage von Öl erst möglich sind, wird von diesen Kreisen bravourös verdrängt, ereifert sich mein Gesprächspartner (soweit ein gebildeter älterer Herr mit vorbildlicher Haltung sich überhaupt zu ereifern vermag). Hier stimme nichts zusammen, sagt er, aber um der Macht willen verbiegt man sich und entstellt die Wirklichkeit auf eine Weise, dass einem die Haare zu Berge stehen; er frage sich, was er all die Jahre auf der höheren Bildungsstufe habe vermitteln können, wenn insbesondere die jungen Erwachsenen dieser Grünen Partei und ihrer Ideologie folgen…
Das Wetter ist grossartig, der Tee wohlschmeckend, und wir wenden uns unseren Booten zu – tatsächlich hatten sie wie ich uns bei der Konstruktion von denselben Ideen leiten lassen. Und so versucht dieses feine, kultiviert-sportliche Paar, Schottland in ihrem selbst (um)gebauten Boot zu umrunden und die Schönheiten ihrer Heimat zu geniessen. Sie tun gut daran!
Am Abend marschiere ich in die City – und erlebe eine Stimmung wie im Mittelmehr-Raum: Aus Bars heraus wird aufs Trottoir gestuhlt (was es eigentlich gar nicht geht in Schottland; die Bar ist drinnen und das Bier wird, wenn schon draussen, stehend getrunken). Aber das ungewöhnlich sommerliche Wetter führt zu ungewöhnlich sommerlichen Verhaltensanpassungen. Mir gefällt’s; ich trinke zwar noch immer kein Bier, habe mir aber ein Panaché bestellt, das sie nicht kennen – spannende Diskussion bis ich das Glas mit diesem Saft in den Händen halte… So geht reisen!