Legende: Deutsche Nordseeinsel Norderney

Heute liegt etwas in der Luft! – Auf der Tafel bei der Hafenausfahrt steht die Windrichtung: Südwest, und die Windstärke: 6 Beaufort. Und ich sehe hinter der Anzeigetafel die grimmig dreinschauenden Wellenkämme! Alle Segler bleiben im Jachthafen, die Motorboote sowieso. Nur die Fischerboote durchkämmen mit ihren riesigen Schleppnetzen unentwegt das Wattenmeer. – Los geht’s; ich beschliesse zur nächsten Insel zu fahren. Jetzt ist die Gelegenheit dazu! Denn fahre ich bei Flut durchs Wattenmeer, das nun rund drei Meter über Grund steht, verspricht das bei diesem Wind und diesem Wasserstand eine neue, wassersportlich gesehen geile Erfahrung.

Die Vorbereitung ist genau gleich wie immer, nur dass ich keine Stundenlange Fahrt mit dem Autopiloten vor mir habe, sondern bloss rund 50 km weit fahre, selbst steuere, und trotz dem hohen Pegel die betonnten Wasserstrassen benutze. Eine Übung, quasi, bei der ich mich und das Boot ‘ohne Risiko’ teste.

Die Hafenausfahrt ist bereits etwas kribbelig, denn vom geschützten Hafen, wo die Kinder spielen, ins aufbrausende Wattenmeer hinauszufahren, macht wach… Aber ich lasse mich resp. die ArgoFram nicht passiv vom Nass abklatschen; ich gehe sogleich aufs Gas und steure mein wunderbares Boot direkt in die Fluten. Das spritzt und rumpelt, dass es eine Freude ist. Alsgleich halte ich Ausschau nach den Tonnen, die ‘Leitplanken’ der Seeschifffahrt hier. Und gleiche ihre Position ab mit den Angaben auf dem Plotter – alles stimmt: Das GPS arbeitet zuverlässig, nun kanns losgehen.

Ich fahre, kurve, lasse mich schaukeln und pfeile mit der ArgoFram von Tonne zu Tonne, an Fischerbooten vorbei (die in besonders markierten Zonen ihre Netze füllen), auch an entgegenkommenden Seglern vorbei, im Slalom Richtung Texel, einer weiteren holländischen Insel. Dazwischen werde ich von kurzen Schauern und durchziehenden Nebelfeldern zur höchsten Aufmerksamkeit gezwungen, aber ich fahre ohne Radar. Alles ist sehr übersichtlich; die Fahrt (oder mein Empfinden dabei) sieht womöglich abenteuerlicher aus als sie ist

Beim Waddelhaven nahe der Ortschaft Oudeschild auf Texel angekommen, bin ich Pfotschnass! Von oben bis unten vom Spritzwasser und vom Regen geduscht, und vom Wind gebeutelt. Aber der Wind macht mir und dem Boot nicht wirklich etwas aus; ich fahre mit Helm und Schutzbrille und in meiner Skiausrüstung, Wind und Nässe machten mir kaum je zu schaffen. Erst recht nicht auf dieser kurzen Distanz. Nur Schuhe trage ich heute keine, höchstens meine Teva. Da läuft das Wasser einfach dran vorbei; es ist noch Sommer hier und Luft und Wasser sind noch erstaunlich warm.

Der Hafen hier ist ein professionell anmutender Fischereihafen. Aber faktisch verkehren hier mehr umgebaute ehemalige Fischerboote und ein paar Sonderanfertigungen, um die Touristen raus aufs Wasser und um ihnen dabei das Wattenmeer näherzubringen. Zum Teil können auch Robben gesichtet werden, was für viele Schaulustige sehr attraktiv ist. Neben dem Hafen gibt es einige Fisch verarbeitende Betriebe, die auch eine Art Takeaway-Gastronomie betreiben. Mit frischem Fisch (und den obligaten Pommes). Das ist eine willkommene Abwechslung in meinem Speiseplan – die mitgelieferten Riesenportionen an Mayo-Sauce lasse ich unberührt.

Hier ist wieder tanken angesagt. Das Boot nochmals kontrollieren. Und viele Gespräche führen. Ich bin immer noch resp. immer wieder erstaunt, was diese ArgoFram an Fragen und Gefühlen auslöst, meist bei Männern. Sie scheinen mich und meine Motivation bestens zu verstehen… So reise ich möglicherweise auch stellvertretend für doch so einige – das ist schon sehr speziell.