
Mein doppeltes Glück nach durchwachter Nacht: Am Morgen fahren viele Schiffe aus dem Jachthafen, die mit der Flut nach Hamburg wollen. Dann kann ich direkt am Steg anlegen, denn ich brauch nicht gleich zu gehen, will ja nach Westen; wozu sollte ich auf meinem Weg nach Westen gegen die Strömung ankämpfen? Also habe ich noch mindestens sechs Stunden Zeit, Benzin zu organisieren, bis ich auf der Elbe mit dem Tidenstrom bei Ebbe in die Nordsee mitrutsche. Und ich habe Zeit Ausschau zu halten nach Häfen mit Tankmöglichkeit, die auf meinem weiteren Weg liegen – dass ich je so abhängig werde und meine Reise durch solche Zwänge gesteuert wird, hätte ich nie gedacht. In der Ostsee (in Estland, Finnland und Schweden sowie in Polen) fand ich an jedem Hafen mindestens eine Art Benzin (normal oder super oder beides), neben Diesel; ausgerechnet in Dänemark und Deutschland aber scheint die Infrastruktur anders ausgerichtet. Umweltschutz?
Jedenfalls helfen neue Bekanntschaften im Hafen, vorausschauend in Holland Häfen mit Benzin aufzustöbern (da gibt es wieder mehrere), und hier in Brunsbüttel an einer Strassentankstelle mit bereitwillig zur Verfügung gestellten Kanistern so viel Benzin zu tanken und umzufüllen, dass ich problemlos bis nach Norderney komme, einer boomenden Insel an der deutschen Nordseeküste. Es findet sich sogar ein Taxiunternehmen, das mir die Tankkanister transportiert (obwohl das verboten sei). Jedenfalls erreiche ich rechtzeitig das Staubecken, um in die wogenden Fluten der Elbe gelassen zu werden – und im Brauseschritt-Wellenritt an Cuxhaven vorbeiziehe und hinaus fahre in die wogende Nordsee: Whow, denke ich, da ‘drückt’ das Wasser nun ganz massiv auf meine ArgoFram ein. Zunächst werde ich quasi hinausgezogen, mit einer Tidengeschwindigkeit von fast 10 Stundenkilometern (ich brauche lediglich 50 Liter/Stunde für über 60 km/h!). Später aber werde ich auch gewaltig hineingedrückt, als ich von der Nordsee zwischen den Inseln hindurch ins Wattenmeer hineinzirkle. (Segelschiffe haben riesigen Respekt vor solchen Konstellationen, weil sie in den plötzlich aufkommenden meterhohen Wellen leicht in Schräg- und Schieflage gedrückt werden und dann zu kentern drohen.) Aber die ArgoFram scheint auch den Atlantik zu mögen. Jedenfalls lässt sie sich viel weniger beeindrucken als ich mich und zieht wenig beeindruckt in der Nordsee ‘aussenrum’ ihren Kreis nach Norderney.
Der dortige Jachthafen ist schön gelegen, proppevoll, und ich bin froh, dass mir der Hafenmeister mit Handzeichen einen Weg zu einem freien Steg weist, den ich aber morgen Vormittag zeitig verlassen muss (weil reserviert). Als ich den Coronatest vorweisen muss bin ich etwas verlegen – Deutschland sei doch frei; ich komme ja von einem deutschen Hafen. Das spiele keine Rolle, dieses Bundesland macht es so, andere anders. Aha. – Ob ich nun Angst haben muss, ob es nun hier besonders gefährlich sei? Oh nein, das sei nun einmal das Procedere. Aber ich könne den Test auch morgen vorweisen, vor der Abfahrt, dann sei das Testzentrum wieder geöffnet…
Bereits während der Hinfahrt habe ich mit einem Tankwart telefoniert, um meine Benzinlieferung zu besprechen – auch auf Norderney gibt es lediglich eine Dieseltankstalle am Wasser, aber dieser Unternehmer bietet einen Service, bei dem er Benzin von seiner Autotankstelle in einen extra gefertigten (und genehmigten!) Tankwagen füllt und am Hafen in mein Boot pumpt. Kostet das (günstigere) Strassenbenzin plus einen Zuschlag von 35 Euro pro 300 Liter. – Deal!