Noch vor allen anderen bin ich wach, geduscht, und in Aufbruchstimmung. Heute weht ein laues Lüftchen, das ist sofort spürbar – heute wird gefahren. Aber ich muss präzisieren: Vitte liegt nicht auf Rügen, sondern auf einer langgezogenen Insel ein paar hundert Meter westlich davon namens Hiddensee! Beide Inseln sind durch ein ruhiges, jetzt am frühen Morgen spiegelglattes Binnenmeer verbunden. Herrlich scheint die Sonne hervor, glitzert über dieses ebenfalls dem Bilderbuch entstammenden Ferienparadies für deutsche Mittelständler. Das Gewässer selbst ist gefährlich für Boote mit einem Tiefgang von über einen halben Meter; wie im finnischen Archipel lauern die Gefahren knapp unter der Wasseroberfläche, unsichtbar vom Schiff aus! Darum halte ich mich exakt an die (ausgebaggerten) Wassergräben, die wie ein Strassennetz ein sicheres Durchkommen im Binnenmeer gewähren. Links und rechts sind schwimmende Tonnen verankert (darum sagt man zu diesen Seewasserstrassen, sie seien ‘betonnt’).

So schön es hier auch ist, Benzin bekomme ich nirgends – die Deutschen sind diesler, auch beim Schiffsverkehr. Also muss ich bei Warnemünde die einzige Tankstelle der Region aufsuchen. Ein verkraftbarer Umweg. Gibt Gelegenheit noch einmal die Glieder zu vertreten.

Warnemünde ist quasi der Hafen von Rostock; eine supertolle Marina wurde hier nach der Wiedervereinigung errichtet. Hier ist die Hautevolee zuhause, das zeigen die superschönen Jachten eindrücklich: Hafenprotzer! – Fahren die überhaupt jemals raus?..

Dann geht es stracks weiter; das Meer hat sich über Nacht merklich beruhigt: Spannend wird’s zwischen dem Festland und der Insel Fehmarn (die durch eine von weitem sichtbare Brücke verbunden wird), wo die enge Wasserstrasse den Schiffsverkehr in einen Flaschenhals zwängt. Aber die ArgoFram ist wendig; ich rausche durch die Passage hindurch, ohne die vielen Segelschiffe auch nur im Geringsten zu bedrängen – ich geniesse geradezu das elegante Ausweichen: Schaut her, hier komme ich und ich muss nicht drängeln! Überhole mit grossem Abstand, weil ich wie abgehoben dahingleite.

Aufmerksamkeit erfordern auch die vielen Fischernetzte, die nach dieser Seeenge ausgelegt sind. Aber ansonsten geht’s direkt zur Kieler Bucht und zur Schleusung in den Nord-Ostsee-Kanal. Die Schleusung selbst ist viel weniger eindrücklich als vermutet; einzig die wirklich grossen Kähne, die sich durch den Kanal zwängen, zeigen welche wirtschaftliche Bedeutung dieser Kanal hat: Besser hier durch, als den langen Weg um Dänemark in Kauf nehmen.

Kanalfahren ist aber nicht das Lieblingsthema meiner ArgoFram, dafür ist sie schlicht nicht ausgelegt. 15 Stundenkilometer sind maximal erlaubt… Darum stelle ich einen Motor ab, und verbrauche (pro Kilometer) praktisch gleich viel Most wie wenn ich mit zwei Motoren über 60 km/h fahre! Einen Gleiter im Verdrängermodus fahren zu lassen ist Folter, finde ich.

Vor Rendsburg entscheide ich mich, für einmal nicht ins Zentrum dieser Kleinstadt zu fahren, sondern in einem Hafen etwas abseits anzulegen und zu nächtigen. Grund: In diesem Hafen gibt es Fahrräder, und damit kann ich ins Zentrum fahren, mit Muskelarbeit, der doch sehr vernachlässigten. Immerhin fünf Kilometer hin und mit einem Umweg etwa acht zurück – eine Wohltat.