Die Überfahrt von Klaipeda nach Danzig (Gdansk) ist eigentlich kein Problem, ruhige See vorausgesetzt, wenn da nicht noch die Russische Enklave Kaliningrad dazwischenläge – ohne diese Bastion Russlands wäre nach dem Kollaps der Sowjetunion die ‘Ausgliederung’ Polens und der Baltischen Staaten aus dem Warschauer Pakt zu Beginn der 1990er Jahre nicht möglich geworden.
Nun dürfen wir also einen weiten Bogen um Kaliningrad fahren, damit wir nicht im russischen Hoheitsgebiet aufgebracht werden – erschwerend kommt hinzu, dass die russische Marine hier draussen regelmässig Manöver und Schiessübungen abhält… Die Segler klagen über mobile Pontons für Zielübungen, die regelmässig ‘vergessen’ werden wegzuräumen resp. nach Beendigung der Übungen nicht in den Hafen zurück geschleppt werden. Wir beschliessen daher, weit ausserhalb der 12 Meilen-Zone zu kreuzen und halten einen Mindestabstand von 30 km zur Küstenlinie. Dadurch werden der Weg und die Fahrtzeit zwar länger, aber da die Bedingungen ausgesprochen gut sind, war die innere Aufregung vor der Fahrt grösser als während der Überfahrt selbst – wie so oft bisher… Andererseits verleiht die gewissenhafte Vorbereitung auch ein Gefühl der Sicherheit, und lässt spontane Eingebungen zu!
Die Einfahrt in die Stadt Danzig ist beeindruckend. Der gesamten Flussmündung entlang liegen weitreichende Hafenanlagen, Trockendocks, Werften, Tankanlagen… Alles was zu einer richtigen modernen Hafenstadt gehört ist hier im Übermass anzutreffen – weit mehr jedenfalls als man einer Stadt mit knapp 600’000 Einwohnern zuordnen würde. Und urplötzlich, wenn man durch den sich verjüngenden Fluss hinauf hochschlängelt, sind wir umsäumt von altstädtisch anmutenden Häusern, die bei genauerem Hinsehen aber neu sein müssen und Hotels, Restaurants sowie Büros beinhalten!
Danzig ist während des zweiten Weltkriegs nahezu vollständig zerstört worden, war danach nicht mehr als ein Trümmerhaufen. Die heutige Altstadt ist eine hervorragende ‘Rekonstruktion’, die immer noch weiter ergänzt und aufgehübscht wird; hinter den schmucken Fassaden verbergen sich grosse, komplexe Gebilde, die von Hotelketten der höheren Preisklasse ausgefüllt werden – Danzig ist im Zentrum eine reine Tourismuslocation, bei unserem Besuch zusätzlich gesäumt von hunderten (!) mobilen Marktständen wie bei uns zur Herbstmesse, zwischen denen zehntausende von Besuchern schlendern. Am Abend sind auch unzählige Einheimische anzutreffen, die sich in bestimmten Strassenzügen (Restaurants, Bars) vergnügten. – Erneut erleben wir eine warme Sommernacht, durchzogen von einem kurzen aber umso heftigeren Regenguss. Was der Stimmung keinen Abbruch tut, im Gegenteil.
Unser Jachthafen liegt wieder einmal inmitten dieses historischen resp. touristischen Zentrums – viele Touristen bestaunen die Jachten, die im Kanal-Graben vertaut sind und den Duft der weiten Welt suggerierten. Lustig, irgendwie, als Teil dieses Traums wahrgenommen zu werden.
Danzig hat sich also enorm entwickelt. Zu gerne wäre ich auf den Spuren von Papst Wojtyla und der Gewerkschaft Solidarność unter der Führung von Lech Wałęsa gewandelt – eine, wie wir heute wissen, explosive Mischung, weil diese Gemengelage die Sowjetunion über Jahre derart herausgefordert hat und das Fass des serbelnden ‘real existierendes Sozialismus’ schlussendlich zum Überlaufen brachte. Aber die Zeit überholt sich zuweilen selbst; meine Erinnerungen dieser zeitgeschichtlich epochalen Wende kontrastieren zum heutigen Selbstverständnis Danzigs, das sich mit seiner wechselvollen Geschichte nicht so leicht ins Museum stecken lässt.
Wir also inmitten Danzigs, Polens prägender Hafenstadt – wir schlängeln uns zwischen entspanntem Jachtgehabe und diffigem Alltagsleben hindurch… Wir essen beispielsweise in einem Restaurant zu Mittag, wo nur Einheimische verkehren, und bekommen für vier Franken eine Suppe, einen Menüteller (sehr kalorienreich), einen Salat, ein Dessert und ein Getränk: Wir erleben hier nochmals einen Preisrutsch nach unten; in Estland sind die Lebenshaltungskosten vergleichsweise günstig, Lettland hat noch tiefere (Lebensmittel- und Benzin-) Preise, und nebenan in Litauen scheint alles nochmals preiswerter zu sein. Aber was wir hier in Polen erleben (gemessen an der offensichtlichen Wertarbeit, es ist kaum Chinaschrott auszumachen, und vorzüglichen Serviceleistungen), das ist erstaunlich! Entsprechend habe ich mit Freude alle Benzintanks restlos gefüllt.
Randnotiz: Polen hat trotz EU als einziges Tieflohnland seine Währung behalten. Eine kluge Entscheidung. Lieber im Armenhaus Europas einigermassen selbständig über die Runden kommen, als der Schuldenwirtschaft der Südeuropäischen Länder nacheifern. Um trotz aller Integrationsbemühungen auf gesunder Distanz zur EU/EZB zu bleiben. Ich wünsche diesem gebeutelten Volk, das immer als Puffer zwischen den Mächten herhalten musste, dass diese Einstellung und Arbeitsmoral Früchte trägt. Bevor die Geschichte erneut zuschlägt und Danzig wieder zurückwirft. – Danzig ist eine sehr zu empfehlende Metropole!