Ich gehe früh los, weg von Lampedusa, hin nach Pantelleria. Einer ebenso einsamen Insel, die sich um einen über 800 m hohen Vulkankegel schmiegt (entsprechend ist das Klima feuchter als auf dem flachen, verödeten Lampedusa). Diese Insel liegt nur etwa 60 km von Tunesien entfernt inmitten der Strasse von Sizilien; die Phönizier besetzten sie lange Zeit als Basis und Drehscheibe für ihre Unternehmungen in das westliche Mittelmeer. Ihr heutiger Name Pantelleria stammt aus dem Arabischen und bedeutet ‘Tochter der Winde’. – Ich lande an, sage dem Hafenmeister Bescheid … der mich fragt, wo ich anschliessend hinwill, und mir rät, möglichst bald weiterzufahren, weil ein Sturm aufkommt, viel rascher und heftiger als man angesichts des wunderbaren Wetters jetzt meinen würde.
Gut zu wissen – ich nehme mir trotzdem etwas Zeit, esse in einem Lokal zu Mittag und staune ab der interessanten Architektur einer ‘kubischen’ Kirche, die nicht so recht hineinpassen will in diese Gegend, sich aber umso mehr erfreulich abhebt vom traditionellen Baustil. Aber weiter geht’s, ich fahre nach Marsala am Kap Boeo, an der westlichsten Spitze Siziliens. Diese Stadt wurde im 4. Jahrhundert vor Christus von den Karthagern gegründet; sie galt als uneinnehmbar – auch Pyrrhos hat sich 276 v. Chr. die Zähne daran ausgebissen. Im 9. Jahrhundert nach Christus wurde sie von den Arabern übernommen und war damit die erste Stadt in Italien, die unter islamische Herrschaft geriet (ihr Name bedeutet übersetzt ‘Stadt Alis’; sie ist bis heute ein Zentrum des Islam in Italien).
Bei der Einfahrt in die weiträumige Hafenbucht habe ich die Wahl zwischen verschiedenen Marinas – ich entdecke eine Tankstelle am Quai, fahre hin, und beschliesse spontan, hier zu bleiben. Diese Marina gehört Raphaele, der sie zusammen mit Antonio und Davide führt. Raphaele scheint etwas eigenwillig zu sein, aber ich spüre ein Engagement, das ich während meiner Reise selten wahrgenommen habe. Also frage ich ihn, ob er eine Idee hat, wie man mein Ponton-Problem lösen und auch gleich das Display neu justieren könnte. Ich habe ja Zeit, da sich der Sturm tatsächlich entwickelt (und sogar die Fährschifffahrt zum Erliegen bringen wird).
Kurzentschlossen nehmen wir die ArgoFram aus dem Wasser und bocken sie auf. Dann beginnt Raphaele mit Antonio und Davide, den defekten Ponton sorgfältig vom Rumpf zu lösen und die einzelnen Schichten voneinander zu trennen … Gut machen die das, denke ich. Eine Operation am offenen Leib. Ich habe null Plan, wo ich überhaupt ansetzen müsste. Schliesslich finden sie einen klitzekleinen Riss, wahrscheinlich aus andauernder Reibung am Rumpf entstanden, öffnen und vergrössern ihn … um gleich darauf zu kapitulieren. Da muss professionelle Hilfe her! – Ponton-Material habe ich dabei, ebenso wie Reinigungs- und Zweikomponenten-Kleber. So organisiert Raphaele zwei Kollegen, die das nicht zum ersten Mal machen; sie fahren aus einem rund 150 km entfernten Ort südöstlich hierher, um mein leckes Ponton innerhalb eines Tages fachmännisch zu reparieren! Whow! – Auch mein Display-Problem wird gelöst; ein Suzuki-Spezialist von einem Hafen nebenan kommt vorbei, und mit der fernmündlichen Unterstützung von Marko und Andi wird auch dieses Malheur behoben.
Wie Raphaele Know-how vernetzt und Fachleute koordiniert, ist phänomenal. Das passt so gar nicht zur eher ‘selbstgestrickten’ kleinen Marina, wo alles etwas improvisiert dreinschaut. Aber funktioniert! – So kann ich auch die Waschmaschine benutzen, und reinige gleich alles, was irgendwie hineinpasst. Auch die Matratze kommt raus aus der ArgoFram, wird geschäumt, alles wunderbar … weil: Michelle hat sich angemeldet. Wer ist Michelle? – Michelle ist jede Frau, die ich während meinen ersten Tango-Gehversuchen in Tallinn von drei Jahren kennengelernt habe. Im Sommer 2020 … Sie hat mir bei der Planung zu meinem Projekt geholfen, mich auch in der Schweiz besucht, bis sich unsere Wege bald schon wieder getrennt haben. Aber ganz offensichtlich hat sie mein Projekt aus der Ferne still begleitet … und vor kurzen telefonisch angefragt, ob sie mich auf der Schlussgerade meines Projektes begleiten könne, ‘ganz ohne Absichten’. – Warum nicht!