
Als ich aufwache sieht es gar nicht gut aus: Nebelschwaden ziehen vorüber. Für eine halbe Stunde sieht man gar nichts, dann macht es auf, bis die nächste Nebelbank sich wie eine Kappe über die Insel stülpt. – Ich konsultiere die Wetterapps, aber anstatt Klarheit entsteht nur mehr Konfusion. Also gehe ich zum Ladengeschäft, frage wo ich die wettererfahrendsten Fischer finde, und merke, dass jede und jeder im Laden wettererfahren ist… Jaja, höre ich, diese Übergangszeit zwischen Frühling und Sommer, die ist halt so…
Der Gleichmut ist mit Händen zu greifen; wenn niemand aufs Meer hinaus muss, dann geht man eben nicht. Die Fähre legt aber fahrplanmässig an und ab – soll ich ihr einfach folgen? Das Wasser macht mir weniger Sorgen als allfällige Boote ohne AIS, die ich nicht oder erst sehr spät sähe. – Der Wind soll auffrischen, aber bis dann hoffe ich längst im Archipelago vor Stockholm zu sein, wo sich die Wellen bei dieser Windrichtung nicht aufbauschen können und die ArgoFram gut durchkommt.
Gedacht, getan. Die ersten Kilometer folge ich der Fährroute, dann biege ich nach Südwesten ab, und schwupps geht es ins offene Meer Richtung Schweden. Und ich fahre unvermittelt in genau jene Wellen, die ich gar nicht liebe, nicht jetzt. Aber einmal muss es sein… Von Süden türmen sie sich über die lange Distanz durch die Ostsee auf rund anderthalb Meter, aber immerhin kommen sie regelmässig. Für etwa eine halbe Stunde werde ich ziemlich gefordert; ich fahre in den Wellentälern Richtung Westen, springe nur hin und wieder über die spitzen (ekligen) Wellenhügel… jedes Mal eine nervliche Mutprobe, obwohl die ArgoFram damit keine Mühe zu haben scheint. Mit einem gewissen Tempo besteht offenbar keine Kippgefahr und ich schiesse halb schräg nach oben und durch die Wellen (der Bug greift gut; die lästige rechts-links-Kippbewegung gleiche ich mit den Beinen aus).
Nach einer Weile stellt sich Routine ein und ich beginne mich zu entspannen. – Weil die Sicht oft sehr diffus ist, bekomme ich nichts mit von Unterwegs, nichts von der Umgebung, ausser dass ich in diesem lang gezogenen Tal, in das ich zwischen den Ortschaften Furusund und Köpmanholm einfahre, von hinten immer mal wieder nahe auf Boote auffahre, weil ich sie im Dunst und ohne AIS erst relativ spät erkenne. Dann fahre ich einen weiten Bogen und überhole – wie es scheint, sind sie alle auch Richtung Stockholm unterwegs.
In Waxholm lege ich einen Boxenstopp ein und fülle die Tanks. Lieber jetzt als wenn ich im Gewühl von Stockholm erst noch eine Tankstelle suchen muss, denke ich. Dabei mache ich eine unscheinbare, aber interessante Erfahrung: in Schweden, im Land der sozialen Gleichheit, dünkt mich vieles nicht so, wie es propagiert wird – es gibt ein spürbares Gefälle zwischen jenen, die in dieser Kleinstadt und dem Hafen entlang flanieren, und jenen, die eine Jacht besitzen und ganz offensichtlich privilegiert sind und auch privilegiert behandelt werden. Ich ‘spüre’ dies nicht anhand der Kleidung oder anderer äusserer Merkmale, sondern über das Verhalten dieser Personen, die Selbstverständlichkeit und Lockerheit, die sie ausspielen (wie sie über den Dingen stehen) und das Geld, das sie ‘einfach so’ bei der Tankstelle ausgeben – und wie ihnen genauso selbstverständlich ‘gehuldigt’ wird; alle Mitarbeitenden im Hafenbereich benehmen sich ihnen gegenüber auffallend präsent. Ich meine zu erkennen, dass subtile Hinweise klarmachen, woher der Wind weht – man ist formal gleich, aber diejenigen bei mir am Steg und beim Tanken sind gleicher, irgendwie. (Mal sehen, ob mir dieses nur spürbare Phänomen nochmals begegnet.)
Die Einfahrt nach Stockholm ist grossartig. Viele Jachten sind unterwegs, wirklich prächtige Boote mit über 20 Meter Länge. Ich reduziere mein Tempo und staune. Die Wasserstrassen sind etwas verwinkelt wegen den vielen Abzweigmöglichkeiten um ‘verstädterte’ Inseln herum. Und immer wieder entdecke ich mit Hochgenuss eindrücklichen Neubauten und Kunstwerke, die dem Wasser zugewandt sind. Aber ich halte mich strickt geradeaus, ich fahre direkt ins historische Zentrum, am Vergnügungspark vorbei in den Jachthafen gleich beim Vasa-Museum!
Irgendwie scheine ich dieses lässig-lockere Selbstbewusstsein, die ich in Waxholm kennengelernt habe, zu übernehmen. Jedenfalls trete ich erstaunlich überzeugt auf, dass ich hier in diesem Hafen, obwohl recht voll, nächtigen möchte – nein, dass mir hier doch ein Platz zusteht – und erhalte ihn auch. Beim Festmachen bemerke ich, dass es hier an ‘schwimmenden’ Wertanlagen nur so wimmelt: ob grosse Boote oder kleine, es sind ausgesprochen edle Boote. Was ist das für eine Welt!
Vom Vergnügungspark herkommend oder zum Vasa-Museum gehend schlendern viele Menschen am Jachthafen vorbei (und staunen von aussen auf die herausgeputzten Jachten); er ist öffentlich zugänglich, kein Tor, nichts was die Leute aufhalten könnte, und doch bleibt diese Elite hier unter sich. Unsichtbare Barrieren?
Ich entfalte mein Velo, erkunde die Gegend, gelange in wunderbar angelegte Parks, mache meine Übungen bei einer Parkbank, und gehe einkaufen. Alles gut – alles sehr gut, weil Martina den Wunsch geäussert hat, mich durch Schweden zu begleiten, und mit dem Flieger kurzentschlossen herüberkommt.
Am nächsten Tag treffen wir uns in der Innenstadt und machen gleicht eine City-Tour mit meinen Trottinetts. Am Hafen eingetroffen organisieren wir uns, packen ihre wenigen Habseligkeiten ins Boot, und machen es uns in der Kabine gemütlich.
Seit meiner Ankunft regnet es, und weil meine Jacht nicht wirklich Platz bietet, stellt uns der gemeinsame Aufenthalt an Bord bald vor erste Herausforderungen… Am nächsten Tag ergreifen wir gemeinsam die ‘Flucht’ und besuchen den Vergnügungspark nebenan! – Sich vergnügen, gute Idee. Wir besteigen ein paar Fahrgeschäfte, lassen uns durch die Luft wirbeln, gehen essen, und machen das Beste aus diesem wechselnden, insgesamt aber sehr böigen Wetter.