
Klar, im 2022 möchte ich gerne den zweiten Teil meiner Umrundung Europas in Angriff nehmen. Aber jetzt, im November 2021 ist alles irgendwie offen, unvorhersehbar: In Europa grassiert weiterhin ein Phantom namens Corona, mit verheerenden Folgen für unsere politische Kultur – und ich exponiere mich erneut (mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Artikeln), und bekomme die Spaltung unserer Gesellschaft hautnah zu spüren, sogar im Kreis meiner Familie.
Nein, eine ‘Impfung’ macht weiterhin keinen Sinn, boostern noch weniger; die Kosten-Nutzen-Rechnung geht vielleicht auf für Menschen über 80 Jahre, aber sicher nicht für jüngere. Darum habe ich das Risiko einer Injektion gescheut und den Hype nicht mitgemacht, und jetzt, nach einem Jahr, nachdem ‘es’ schon fast alle gemacht haben, besteht für mich kein Grund umzukippen.
Ich habe mitten im heissen Corona-Krieg mit der ArgoFram 25 Landesgrenzen überwunden und gemerkt, dass insbesondere an der Peripherie Westeuropas das Theater der Regierungen nie wirklich ernst genommen wurde. Wie ‘Bergler’ bei uns in der Schweiz trotzen die abgelegenen Küstenbewohner allem, was aus der politischen Zentrale kommt. – Wer aufs Wasser hinaus geht, muss sich selbst ein Urteil bilden; jede Ausfahrt ist ein Abwägen zwischen Aussicht auf Geldverdienen und in den Fluten hängen bleiben (und sterben). Wer sich da ausschliesslich auf Wetter-Apps und die Meinung von ‘Experten’ verlässt, verliert das Gespür für die Realität und handelt sträflich. Die vielen Mahnmale und Gedenksteine, die von Nord bis Süd an den Küstenorten aufgestellt sind, erinnern brutal an diese Binsenwahrheit.
Mein Tun inmitten dieser Test-Pandemie hatte vermutlich etwas Reaktionäres; unfähig, alleine dieser ‘neuen Normalität’, dieser Flutwelle an Propaganda, etwas Wirkungsmächtiges entgegenzustellen, bin ich ‘abgetaucht’ und habe mein eigenes Ding durchgezogen. Lieber wollte ich meine Kräfte für etwas bündeln, für ein eigenes Projekt, als mich ‘dagegen’ aufreiben zu lassen. – Menschen an der Peripherie Europas zu begegnen, bei denen Eigenverantwortung etwas selbstverständliches hat, war wohltuend und befreiend.
Dennoch schwächle ich nun; gesundheitlich scheine ich angeschlagen zu sein. Ein merkwürdiger Husten begleitet mich seit der Einfahrt in die Rhone. Bin ich ausgezehrt? – Zudem wird eine längst fällige Prostata-Operation durchgeführt – meinem kreativen Operateur sei Dank gelingt der Eingriff, hurra!
Um das Narbengewebe im Unterleib richtig verheilen zu lassen, sollte ich mich nicht bewegen… So hänge ich herum, und ausser ausgedehnten Spaziergängen bleibt mein Body inaktiv. Prompt fange ich eine böse Atemwegsinfektion ein (Sars-CoV-2 wird zwar diagnostiziert, aber was heisst das schon), gefolgt von einer hartnäckigen Lungenentzündung. Ich liege flach. (Gut für meine Blase; nur den Humor nie verlieren…)
Im Januar 2022 rapple ich mich wieder auf, lanciere ein stringentes Programm zum Wiederaufbau. Wohl dosiert beginne ich mit Atem- und Bewegungsübungen, Velofahren, leichtem Krafttraining und schliesslich wieder mit Hammerwerfen. Ich reduziere mich auf meinen Körper; schreiben mag ich grad gar nicht (ausser Notizen zu diesem Blog), und auch sonst keine Tätigkeit. Ich bin selektiv faul.
Meine Kräfte kommen zurück – es ist offensichtlich, dass mich diese Umrundung Westeuropas doch mehr geschlaucht hatte, als ich das wahrhaben wollte. Nun aber regen sich meine Lebensgeister wieder. Was ich mir nun wünsche ist Sonne, so richtig Sonne und Wärme, und ich möchte draussen etwas unternehmen. Kurzentschlossen buche ich einen Flug nach Mexiko City. Das Land ist offen und macht keinen Stress wegen Corona, also nichts wie hin. Sonne, Höhenluft und geselliges Leben, was für eine Wohltat. Ich tauche ein und flitze mit einem Mietvelo durch diese unfassbar weitläufige Metropole, unternehme Ausflüge zu historischen Stätten und erkunde die Märkte, Museen und die kulinarischen Seiten dieser Megacity.
Weiter geht’s nach Merida auf Yucatan. Ich miete erneut ein Velo, fahre an die und entlang der Nordküste, besuche diverse Kultstätten der Mayas im Zentrum dieser Halbinsel und geniesse die unglaublichen Temperaturen, die prägende Sonne und die einfache aber vorzügliche Kost. Jeden Tag mache ich ein Set von Körperübungen, Sprünge, Liegestützen, Klimmzüge, simpel aber hoch wirksam. – Schliesslich erreiche ich Tulum (und bin vom überquellenden US-Tourismus schockiert, der sich von hier bis hinauf nach Cancun erstreckt) und ziehe mich sogleich auf die Insel Cozumel zurück. Wieder miete ich ein Velo und fahre in den Morgen- und Abendstunden ausgedehnte Strecken. Im Garten meines Hotels mache ich zudem meine Übungen, ebenfalls am Morgen und am Abend, erhöhe also nicht die Belastungsintensität, sondern erweitere ‘bloss’ den Umfang. Bald bin ich wieder auf meinem Normalgewicht.
Da geschieht das Wunder: Ich möchte das Meer erleben! Gehe in ein Sportgeschäft um eine Schnorchelausrüstung zu mieten, möchte mich in Küstennähe unter Wasser umsehen… Und was passiert? Ich komme in Kontakt mit Tauchlehrern, begutachte diverse Tauchschulen, und buche einen Grundkurs! Ängstlich repetiere ich die Basisübungen im Hotelpool, das Absetzen des Mundstücks, das Öffnen und Ausblasen der Tauchbrille, das Wechseln der Flasche unter Wasser und all das Zeug. Bis ich mich bereit fühle, ins Meer zu gehen.
Ich plumpse bei einem vorgelagerten Riff hinein in die Fluten, lasse mich ein paar Meter nach unten treiben, entdecke neben bunten Fischen eine mächtige Wasserschildkröte – und folge ihr bis auf 12 Meter Tiefe (unter dem wachsamen Auge meines Tauchlehrers). Whow!
Eine neue Welt erschliesst sich mir; kann Wasser wirklich zum Freund werden? – Nun, so weit wollen wir nicht gehen…, aber warum denn nicht?
Wir machen in den nächsten Tagen noch ergänzende Übungen, erproben während unseren Tauchgängen verschiedene Aufstiegsvarianten, und ich büffle Theorie, damit ich das Brevet absolvieren kann. Nach einer Woche bin ich so weit, bin ab mir selbst am meisten überrascht. Und dankbar: gewagt – gewonnen.
Im März kehre ich zurück, gehe gegen Saisonende sogar noch in die Berge (um Ski zu fahren). Ist vertraut, tut gut. Dann kommt bei uns der Frühling, alles spriesst, und ich besuche ausgewählte, extravagante bis überbordende Partys, betrete mit sozialen Experimenten auch in diesem Bereich Neuland – werde ich im fortgeschrittenen Alter noch zum Hedonisten?
Unglaublich, wie gut es mir wieder geht. – Ich bin bereit, zur ArgoFram zurückzukehren, zur nächsten Etappe meiner Umrundung zu starten.