Wir verlassen Barbate, blicken hinüber nach Afrika, und nähern uns den ‘Säulen des Herakles’ (der Strasse von Gibraltar). Unter uns beginnt das Wasser zu schieben, sich zu überdrehen. Kräuselndes Oberflächenwasser wechselt sich ab mit ölig scheinenden, blanken Stellen, Durchmesser von 20 bis über 100 Meter, und dazwischen die ArgoFram, die hin und her geschoben wird – Martina schaut ganz verwundert…

Ich hab schon Erfahrung mit Strömungen, ‘Whirlpools’ und überraschend auftauchenden Wellenbänken. Und auch diesmal scheint sich eine weisse Wand vor uns aufzutun; weit vor uns bricht eine einzige Welle, und zwar über mehrere hundert Meter Länge, vielleicht über zwei Kilometer – wie hoch ist sie? Wie wird es sich anfühlen, sie zu durchfahren? Wie vorgehen, was tun?

Ich fahre einfach mal direkt drauf zu – bei meinem Tempo kommt diese Wand ohnehin rasch näher… Respektvoll reduziere ich die Geschwindigkeit, mustere deren Verlauf, und entschliesse mich durchzubrechen. Senkrecht. – Was zu Beginn meiner diesbezüglichen Erfahrungen, insbesondere vor Nordirland und bei den Passagen vor Wales eher zufällig und intuitiv erfolgte (und mit Glück gelang), meistere ich nun mit einer gewissen Abgeklärtheit. Oder ich gebe mich zumindest so, schliesslich habe ich einen Gast an Bord.

Die Wand war dann doch keine, eher ein sich aufplusterndes Dickicht, vielleicht einen Meter hoch, gfürchig dreinschauend. Die ArgoFram gleitet durch diese ‘Welle’ wie durch Butter – wie schreckhaft bin ich denn?!

Einmal überwunden, zieht und drückt uns das Wasser durch diese Meerenge zwischen Europa und Afrika. Die Kraft meiner Motoren hält die ArgoFram auch jetzt auf Kurs, als ob nichts wäre – ganz im Gegensatz zu einem entgegenkommenden Segelboot, dessen Segel drucklos baumeln und das mit seinem (eher schwachen) Motor sichtlich gegen die mächtige Strömung ankämpft. Da möchte ich jetzt nicht drinsitzen.

Bei diesem Anblick kann ich mir leicht vorstellen, vor welchen Herausforderungen die phönizischen und griechischen Segel-Ruderer vor dreitausend Jahren standen, um je nach Wind- und Strömungsbedingungen vom Mittelmeer in den Atlantik einzufahren. Denn bitte nicht vergessen: Pro Sekunde strömen an der Oberfläche rund eine Million Kubikmeter Wasser vom Atlantik ins Mittelmeer ein. Das entspricht einem Wasser-Würfel von 100 m Kantenlänge, pro Sekunde! Multipliziert mit einer Tonne Gewicht pro Kubikmeter, drücken an der Wasseroberfläche pro Sekunde 1 Milliarde kg Wasser durch ‘die Säulen des Herakles’ – das sind wahrlich kräftige Bedingungen, die es zu meistern gilt. (In den tieferen Schichten der Strasse von Gibraltar fliesst salzhaltigeres Wasser vom Mittelmeer in den Atlantik zurück; netto fliessen ca. 70’000 m3 Wasser pro Sekunde vom Atlantik ins Mittelmeer, was 240-mal mehr ist als die Zuflussmenge aller ins Mittelmeer mündenden Flüsse). – Nur dank genauer Beobachtung der tieferliegenden Gegenströmung und der genialen Idee, Treibanker wie eine Art Unterwassersegel zu verwenden, konnten in der Antike Schiffe aus dem Mittelmeer in den Atlantik vorstossen!

Aber ich fahre nun nicht hinaus in den Atlantik, ich fahre ins Mittelmeer hinein, das ist verhältnismässig einfach. Es sind vielmehr meine Sensoren, oder meine Ängstlichkeit, die die Bewegungen auf dem Wasser erkennen und das Spiel der Kräfte unter dem Schiff erspüren, und dieses mulmige Gefühl auslösen.

Bald schon taucht der Felsen von Gibraltar auf. Eigentlich wäre hier günstig tanken angesagt, aber das Corona bedingte Einreiseprozedere geht mir auf den Sack, darum rauschen wir einfach dran vorbei, weiter Richtung Malaga.

Die Grossstadt reizt uns nicht, darum landen wir kurz davor in Fuengirola an: Mässig unterhaltene, aber geschäftige Hafenanlagen. Viele Boote. Dann Kinderhüpfburgen und spanische Familien, die bis tief in die Nacht hinein ihren ‘Urlaub’ geniessen… Mehr kümmert uns nicht.