
Bei meinem Morgenspaziergang in Port Joinville finde ich eine Bäckerei, die – endlich – diesen Namen auch verdient. Ein kleines Paradies! Und nebenan hat auch schon eine Charcuterie geöffnet, mit derart fettreichen Delikatessen, dass ich einfach zuschlagen muss: Frühstück und Lunch in einem, und so vielfältig und geschmacksintensiv wie selten, so fein!
Dann weiter… Ich habe diverse Routen vorbereitet und mir sogar ausgemalt, direkt von hier aus durch die Biskaya hinüber nach Bilbao in Spanien zu fahren… Rund 400 km. Ich traue es mir zu, aber ich würde mir gleichzeitig zu viel von Frankreich abschneiden! – Ich beschliesse, hinauszufahren und je nach Situation werde ich die eine oder andere Route einschlagen, und irgendwo zwischen La Rochelle und Arcachon wieder an Land gehen.
Aber einmal draussen präsentiert sich der Wellengang völlig anders als den Prognosen entnommen (oder ich habe sie falsch gedeutet). Der Wind kommt direkt von Osten, und die Wellen schlagen mir mit einer Wucht entgegen, die mich sehr bald zu einer Kursänderung zwingen – hin zur Küste, ausgerechnet. Es gibt keine andere Wahl; es ist wirklich heftig. Ich reduziere das erste Mal auf dieser Reise mein Tempo massiv, komme mir bald vor wie ein Fischerboot, das im Takt der Wellen mitschaukelt.
Ich mutmasse, dass ich mich hinter der Landmasse quasi verstecken und bei gemildertem Wellengang meine Reise mit normaler Geschwindigkeit (also weniger Geschaukel) fortsetzen kann. Und tatsächlich, das Fahren wird angenehmer. Also versuche ich mich an der Küste entlang zu hangeln, immer mit dem Drang doch wieder hinauszuziehen um Kilometer zu sparen. Aber je mehr ich nach Süden abdrehe, desto mehr schlagen die Wellen entgegen; optimal ist die Fahrt wenige Kilometer von der Küste entfernt, wo sich die Wellenhöhe noch wenig entwickelt hat; zu nahe an die Küste mag ich aber auch nicht gehen, weil dort wieder andere Kräfte wirken – interessanterweise habe ich mehr Respekt vor der Küstenlinie als vor dem offenen Wasser (wohl auch, weil meine Reaktionszeit bei einem Motorschaden in Küstennähe sehr gering ist, wie schon in der Ostsee gesehen – und hier schlagen die Wellen heftiger ans Ufer als damals in der Bucht von Tallinn). Schliesslich wird klar, dass Royan mein realistisches Tagesziel sein wird.
Die Einfahrt in die breite Mündung der Garonne wird wieder spannend, weil verschiedene Strömungen aufeinanderprallen, unter mir im Wasser, und ich obendrauf das Beste daraus machen muss. Aber dafür habe ich mittlerweile das Gespür – und genügend PS im Hintern, um notfalls Gegensteuer zu geben…
Das Wetter ist herrlich; mit mir fahren verschiedene Freizeitboote zurück in ihren Hafen, die Männer sind oben ohne und auch die Frauen mit nicht mehr bekleidet (das ändert sich erst im Hafen, allerdings nicht bei den Männern). Ich sehe eine funktionierende Tankstelle – ich kann nachladen; alles wird möglich sein, alles gut.
In der Capitainerie helfen sie mir wieder sehr freundlich weiter bei der Planung für den nächsten Tag: Direkt nach Santander zu fahren ist eher verwegen, höre ich, aber der Atlantikküste entlang südlich zu fahren ist gar nicht empfehlenswert, weil morgen die französische Armee bei Arcachon bis weit ins Meer hinaus Schiessübungen veranstaltet. Selbst die Fischerei wird während diesem Tag vollständig eingestellt… Andererseits wird übermorgen der Wind nochmals drehen und die Biskaya zeigt ein anderes Gesicht als heute, ihr bösartiges. – Also doch weniger Frankreich als erhofft, dafür das Zeitfenster optimal genutzt und sicher nach Spanien? Ich gehe erst mal in die Stadt hinein und erkunde sie; die beste Lösung kommt schon auf mich zu.
In Royan selbst scheint der ewige Sommer weiter anzuhalten, abends um sieben ist es noch immer 31 Grad warm. Ich besuche die Kathedrale, die mir schon vom weitem aufgefallen ist (aber nicht als Kirche, sondern eher als schwarzer Silo, ein Monsterbunker oder ein Störenfried im Stadtbild).
Auf dem Weg dahin sind die Aussenbereiche der Restaurants gut besetzt, aber ich frage gar nicht erst nach, ob hier mit oder ohne Impfkontrolle serviert wird. Ich geh zur Kathedrale hoch und bin zutiefst enttäuscht ob diesem unmöglichen, dumpfen und abweisenden Äusseren. Dann gehe ich hinein und bin zutiefst erstaunt ab diesem sich mir öffnenden Wunderwerk! Halleluja, durchströmt es mich. Da hat ein Architekt etwas gewagt, hat – nach dem Zweiten Weltkrieg – aus den Ruinen des zerbombten Royan mit Beton etwas hochgezogen (und wurde ganz offensichtlich beseelt bei seinem Tun), das eindrücklicher nicht sein könnte. – Dieser Innenraum ist einfach Hammer. Ich bin hin und weg. Geniesse die Stille, das Atmen, das Entrückt-Sein.
Nein, schön ist sie auch innen nicht, aber das Raumgefühl und diese ‘Erhabenheit’, die diese Kirche verströmt, ist betörend.
Völlig beglückt wanke ich weiter, suche ein Lebensmittelgeschäft, aber hier im Zentrum ist mittlerweile alles zu. Also esse ich was ich noch an Bord habe und ruhe mich aus, immer noch wie besoffen von diesem Besuch in der Kathedrale. (Dieser Begriff ist hier vollauf angebracht.)
Leider spüre ich aber auch wieder meine schmerzende Achillessehne, nur schon beim Stadtwandern (mein Tagesprogramm beschränkt sich auf Liegestützen und Klimmzüge). Da muss ich nach meiner Rückkehr am Sprunggelenk wohl einiges ‘reinigen’ lassen… Wie auch immer, ich hocke im Boot, habe gut gegessen, tanke Abendwärme – und beschliesse morgen die direkte Überfahrt nach Spanien zu wagen.