
Der Tag beginnt grau. Wolkenverhangen liegt Newlyn da – ideal um noch mein Fitnessprogramm durchzuziehen, bevor es losgeht. Wobei, ein eigentliches Programm habe ich längst nicht mehr; ich schaue immer, was ich situativ machen kann… Heute jogge ich der Küste entlang, um zu erspähen, wie es draussen auf dem Meer aussehen könnte (es sieht verschissen aus, wenn ich das so sagen darf; der Hafenmeister hat’s richtig erahnt). Dann folgen Strecksprünge, ein- und beidbeinig, Liegestützen in verschiedenen Varianten, Dehnungsübungen, bevor ich zurück jogge. Am Schluss bin ich fast zwei Stunden unterwegs. Dann nehme ich eine Dusche, esse noch was resp. bereite meinen Proviant vor, und möchte es wagen. Ich kontrolliere alles noch einmal und verabschiede mich von meinen Nachbarn (die Segler bleiben im Hafen, ihre Apps zeigen abnehmenden Wind, Stillstand). Sie wünschen mir Glück.
Der Beginn verläuft unruhig, innerlich wie auf dem Wasser. Ich habe mir viel vorgenommen: 200 km offenes Meer (der Ärmelkanal ist hier eher ein grosser Trichter, der sich erst viel weiter östlich verjüngt), dann rund 100 km der bretonischen Küste entlang, und anlegen wo’s mich passend dünkt (ich entscheide das später; habe ja keine Ahnung was unterwegs noch alles passieren wird und ob ich so leicht an den strömungsreichen Gefahrenstellen oder den Küstenwachen oder was auch immer auf mich ‘wartet’ vorbeikomme). Der Nebel drück zunehmend zur Wasseroberfläche hinunter; ich rausche in ein diffuses Grau hinein und sehe vielleicht 100 bis 300 Meter weit. Gleichzeitig – wie schon häufig beobachtet – beruhigt sich die Wasseroberfläche (wobei es vermutlich keinen Kausalzusammenhang gibt, es war bisher einfach so, ausser beim Pentland Firth…) und es passiert genau das, wovon der Hafenmeister überzeugt war, dass das Wasser verzögert auf den Wind reagiert. Jedenfalls gleite ich mit hoher Geschwindigkeit über eine zunehmend spiegelglatte See.
Es herrscht gefrässiges Treiben auch hier; kreisende Vogelschwärme über mir zeigen, dass Fischschwärme unter mir sein müssen (wie orientieren sich eigentlich die Vögel im Nebel; wie finden sie zusammen mitten im Ärmelkanal?), und wo Fischschwärme an der Wasseroberfläche sind, da sind auch Delphine. Aber heute habe ich wenig Musikgehör, reduziere das Tempo zwar und freue mich an diesem Schauspiel, ziehe aber bald weiter.
Irgendwann, ich bin schon nahe der französischen Küste, empfange ich klare Funksignale, die mich direkt ansprechen: In befehlshaberischem Ton kontaktiert mich eine Kanalautorität über meinen Schiffsnamen und MMSI in lustig anmutendem Englisch mit französischem Akzent, und fragt mich barsch was ich da treibe und wie viele Personen an Bord sind und wo ich hinwolle. Ich gebe artig Auskunft, dass ich Richtung La Rochelle unterwegs bin und im Übrigen sehe er mich ja über AIS – und frage, ob sich noch andere Schiffe hier im Nebel tummeln, die ihr AIS möglicherweise abgeschaltet haben. Aber anstatt eine Antwort zu bekommen schnauzt er mich an, warum ich seine Funksprüche nicht schon früher beantwortet habe; seit Stunden versuche er mich zu erreichen. – Funksprüche? Ich gehört? Aha… Treuherzig versichere ich, ich habe nichts vernommen, sorry.
Es lohnt sich auf ‘blond’ zu machen und darauf hinzuweisen, dass er meinen Bootstypen ja über AIS sieht – bis er einlenkt und einsieht, dass ich bereits wenige Dutzend Kilometer vom nächsten (landgestützten) Sender entfernt keinen Funkspruch mehr empfangen kann mit meiner Antenne, die an der Spitze lediglich drei Meter übers Wasser ragt.
Auch dieser Sturm im Wasserglas legt sich bald; ich brause dahin und ich konzentriere mich auf die Durchfahrt der ersten von meinen Seglernachbarn erwähnten Gefahrenstelle vor Brest. Aber offensichtlich bin ich schneller hier als sie angenommen haben, so dass die Gezeitenströme noch gar nicht eingesetzt haben (oder der Wind viel zu schwach ist). Ich flutsche ohne überhaupt etwas zu bemerken zwischen den Inselchen an der Nordwestspitze Bretagnes (bei der Ortschaft Le Conquet) hindurch. Erst bei der zweiten Gefahrenstelle, zwischen der Île de Seine und dem Festland rund 40 Minuten später, spüre ich Unterwasserwirbel. Und ich realisiere, dass die Wahrnehmung immer relativ ist. Vielleicht habe ich wieder Anfängerglück, oder schon etwas Erfahrung, oder beides, und komme problemlos auch durch diese Passage.
Nun wird es Zeit mich umzuschauen, in welchen Hafen ich einfahren möchte. Die Angaben auf dem Plotter kann ich nun, so nahe entlang der Küste, wo ich mit dem Handy wieder Empfang habe, mit dem Internet abgleichen. Ich bevorzuge Häfen mit eigener Tankstelle! Eher gefühlsmässig entscheide ich mich für die Ortschaft Loctudy, die nun noch knapp 70 km oder rund 80 Minuten entfernt liegt.
Die Einfahrt in Loctudy erfolgt bei strahlender Abendsonne! – Einmal mehr passt irgendwie alles zusammen: Ich bin zu spät hier, um mich beim Hafenmeister (der Capitanerie) vorzustellen und anzumelden (französisches Arbeitsethos; bei einem reinen Freizeithafen herrschen klare Arbeitszeiten und selbst die Pausen sind beim Eingang gross angeschrieben – es soll sich niemand erdreisten zur Unzeit anzuklopfen), was mir mögliche unangenehme Fragen erspart. Aber ich bin früh genug hier, um bei diesem herrlichen Wetter all die anderen Bootsbesitzer anzutreffen, die sich nun erst anschicken in den Ausgang zu gehen. So erhalte ich die Codes für die Tore, die Toilettenanlagen mit Dusche, die Fahrräder, und noch den einen oder anderen Tipp, was ich hier machen könnte…
Alles wunderbar; alle Last ist verflogen und nach der Dusche fühle ich mich wie neu geboren. Ich schlendere zunächst zu einer Beiz nahe am Pier, bei der sich viele Leute bei einem Glas Weisswein sonnen – und erkenne erst jetzt, dass hier, wie in England, niemand eine Maske trägt. Bin ich wirklich in Frankreich angekommen?
Jedenfalls hocke ich mich hin, lasse mich vom neuartig luftig-leichten Lebensstil anstecken, und bestelle eine Portion Austern.