![Foto 023](https://circumnavigate.blog/wp-content/uploads/2022/01/Foto-023-scaled.jpg)
Noch zehn Schleusen-Stufen bis zum Atlantik, acht davon an einem Stück bei Banavie. Von einer Schleusenkammer fahre ich direkt in die nächste; nach anderthalb Stunden komme ich zum kurzen Kanalstück, das mich zu den beiden letzten Schleusenkammern führt. Die ganze Prozedur ist eindrücklich, Zeugnis genialer Ingenieurkunst, und dauert zweieinhalb Stunden – aber nun will ich weiter. Ohne Halt nach Oban. Dort soll es am Hafen eine Tankstelle für Benzin geben…
Die Fahrt an Fort William vorbei durch Loch Linnhe lässt sich landschaftlich nicht unterscheiden vom Great Glenn – ich bin noch immer in den Highlands, immer noch in diesem ‘Graben’, aber doch fährt es sich nun ganz anders: Die Gezeitenströme erinnern mich daran, dass das Schifflifahren auf dem See ein Ende gefunden hat, und es nun im Atlantik weitergeht.
Nach rund einer Stunde bin ich in Oban. Von einer Benzintankstelle ist weit und breit nichts zu sehen. Dann schnapp ich mir halt einen Trolley, schiebe ihn durch diese Ortschaft zum grossen Shoppingcenter (mit Tankstelle) vor den Toren dieses Städtchens, und mache damit einmal mehr gleich mein Sightseeing. Und komme so – bei hochsommerlich anmutendem Prachtswetter! – zu meinem wohlverdienten Glacé (voll bio, mit Highlandmilch, von Hand gemolken und mit viel Liebe für mich zubereitet… – auch hier, ich kann es schon gar nicht mehr hören).
In Oban, das eine Universität beheimatet, gibt es am Hafen viele Ausflugs-Angebote um die Hebriden zu erkunden: Fährboote und kleine/private Kreuzfahrten scheinen viel Kundschaft anzuziehen; die Branche boomt, Engländer kommen vor allem. Das Wetter ist wie gesagt wundervoll; ich kann nackten Oberkörpers die Tanks füllen und noch einmal die Sonne auf mich einwirken lassen.
Die Fahrt entlang den Inneren Hebriden ist faszinierend; eine Insel folgt der nächsten, mit unterschiedlichen Küstenverläufen, und immer einem satten Grün obendrauf. Die Bedingungen sind ideal, ich fahre hinaus in den Atlantik, direkt hinüber nach Nordirland. Doch urplötzlich ändert die Wetterlage, ich bekomme kalt. Also Pullis und Jacke unter die Windschutzschicht und Rettungsweste, sogar Handschuhe muss ich anziehen (zum ersten Mal seit der Fahrt nach Haapsalu, wo ich mir noch mit Socken aushelfen musste). Hier draussen im Atlantik wird das ‘Klima’ kühl und feucht, und auch die Gezeitenströme zeigen mir ihre Kraft, wenn ich zwischen einer vorgelagerten Insel zu Nordirland hindurchbrause. Kribbelig wird es kurz vor der Einfahrt nach Ballycastle, wo Wasserwirbel die ArgoFram mächtig in die Zange nehmen (aber nach der Passage des Pentland Firth bin ich – sprichwörtlich – mit schon einigen Wassern gewaschen).
In Ballycastle empfängt mich einmal mehr eine sehr warmherzige Bevölkerung, und eine neue Sprache… Habe ich mich an das Schottische schon etwas gewöhnt, muss ich mich nun mit der nordirischen Variante des Englischen vertraut machen. – Bootsführer und Hafenmeister sind sehr einladend, unkompliziert, gut gelaunt. Und in kurzen Hosen unterwegs!
Als ich mich im Hafen umsehe, bemerke ich, dass es hier erstaunlich viele RIBs gibt, Schlauchboote jeder Grösse und für die verschiedensten Verwendungszwecke (die meisten auf der Basis eines Speedboots). Ich rufe Marko an; er hat das auch schon gehört, dass in dieser Gegend einige Bootsbauer voll auf RIBs setzen und diese sehr beliebt seien, von praktisch ausgerichtet bis zu ausgesprochen luxuriös. – Ob das mit dem Gewässer hier zu tun hat, wo es vorteilhafter ist, leicht, flink und doch kraftvoll unterwegs zu sein? Oder ob es einfach mehr Freizeitfahrer gibt?
Neben dem Hafen gibt es in Ballycastle eine ausgedehnte Bucht, einen veritablen Beach, mehrere hundert Meter lang, bei Ebbe vielleicht hundert Meter breit, mit Menschen am und im Wasser – und ein paar sich filmreif gebenden Jungs, die den offiziellen Baywatch machen. Es ist noch einmal richtig schön geworden, sagen sie. Nun ja, in Schottland drüben war’s warm, aber hier, denke ich? Die Meteo-Tafel zeigt 14 Grad Lufttemperatur, und 11 Grad sind’s im Wasser… Es ist Spätsommer und alles ist relativ… Die Leute hier geniessen es! – Am kommenden Wochenende endet die offizielle Badesaison; wenn das kein Grund ist, noch einmal in die Fluten zu springen!
Die herzensgute Dame vom Tourismusbüro drückt mir, nachdem ich ihr sage, dass ich in den Achtzigern durch Irland gewandert bin (und frage, wie’s denn geht, ob die inzwischen gebauten Brücken zwischen den Konfessionen – und Clans! – halten), ein Büchlein in die Hände mit der stolzen Bemerkung: Look, everything has changed here – almost everything: Die einstigen Gräben sind zugeschüttet, die Polizei ist auf allen Ebenen ausgewechselt worden, die Politik ist sachdienlich (und England redet auch nicht mehr so viel drein). – Ja, vielleicht gelingt es, in der nächsten oder übernächsten Generation, die Geschichte neu zu schreiben in diesem zerrissenen Land. Ich würde es den Nordiren, ja allen Iren gönnen.
Zu meinem Erstaunen stehen auch hier, beim Hafenbecken, wieder unzählige Leute Schlange – vor einer Fish’n’Chips-Bude! Wie kann man nur, warum ausgerechnet diese, wo es doch nebenan weitere hat? Diese hier sei die Beste, lasse ich mir sagen, und versuche den Cod. Na ja… Aber die mitbestellte Fischsuppe ist wirklich fein, immerhin.
Anschliessend mache ich meinen Abendspaziergang; am nächsten Tag scheint es einen Feiertag zu geben – die Pubs sind voll und die Menschen auch. Socializing, sagt man dem hier. Ich gehe schlafen.