
Ein herrlicher Tag bahnt sich an. Ich ziehe schon früh am Tower des Hafenmeisters vorbei, ein letzter Gruss und ich steche in die offene See.
Bald passiere ich endlos erscheinende Windfarmen; weit draussen strotzen dutzende, wenn nicht hunderte von Windkrafträdern in den Himmel, riesig und in ihrer wahren Grösse erst von nahem zu erkennen. Aber wie schon so oft gesehen, in der Ostsee wie auch entlang der Ostküste Englands, sind diese Farmen nicht in Betrieb. Wozu tätigt der Steuerzahler solche Investitionen, wozu trägt er die enormen Unterhaltskosten, nur um die Dinger im Wasser stehen zu sehen? – Oder mache ich einen Denkfehler? Geht es um die gute Absicht, nicht ums Resultat?
Wie auch immer: Die Sonne scheint. Kein Lüftchen weht. Herrlich. Ich stelle den Motor ab, nehme ein Sonnenbad, lasse mich treiben. – Um mich nur Nass, kein Windhauch, keine Wellen, wo bin ich eigentlich?
Ich starte erneut, und entschliesse mich direkt nach Stromness zu fahren, einer Ortschaft auf den Orkney Inseln. Ich komme schon gar nicht auf die Idee, genauer hinzuschauen und mir viele Gedanken zu machen – das Wetter ist fantastisch, also fahre ich ohne Boxenstopp durch die vor mir liegende Meerenge hindurch. Nur ein paar Kilometer mehr… Mir ist in Erinnerung, dass wir mal mit den Velos hier unterwegs waren, mit Kind und Kegel, und dass das Fährboot von Schottland zu den Orkney Inseln aus unerfindlichen Gründen nicht gefahren ist, trotz – auch damals – schönem Wetter…
Schlagartig, ich biege am Nordostzipfel Schottlands gerade nach Westen ein und fahre exakt zwischen der schottischen Insel Stroma und der Orkney-Insel South Ronaldsay, reisst es mir das Steuer aus der Hand – nein, nicht wirklich, ich halte mich tapfer daran fest. Aber ich habe nichts mehr zu bestellen. Das Boot macht was es will, resp. das Wasser macht mit meinem Boot, was es will. Ich tanze wie auf riesigen Wasserwirbeln, nein: Ich werde getanzt! Links und rechts von mir dreht das Wasser in grossen gegenläufigen Spiralen, zieht das Boot mal hierhin und mal dahin, scheint alles in seinen Strudeln zu verschlingen. Rasant wechseln spiegelglatte Abschnitte mit höllisch schaukelndem und gierig blubberndem Oberflächenwasser; mir ist, als spalte sich das Wasser permanent und vor mir öffnet sich ein Schlund nach dem anderen. An uns, am Boot und an mir wird gezerrt und gerissen; etwas saugt uns mit sich nach ich-weiss-nicht-wohin… Ich lasse das Steuer los, schalte den Autopiloten ein – ich habe keinerlei Kontrolle.
Ein Blick auf meine Instrumente bestätigt, dass nichts mehr mit normalen Dingen zugeht: Ich verbrauche Sprit für 53 Liter (was normalerweise auf eine Fahrtgeschwindigkeit zwischen 50 und 56 km/h hindeutet). Gleichzeitig zeigt mein GPS an, dass ich mit Spitzen über 67 km/h dahinbrause, obwohl ich nicht das Geringste dafür tu (und auch nichts dagegen) – ist ja schön, irgendwie, aber was geschieht da gerade? Könnte mir irgendjemand bittesehr sagen, was hier abgeht?! Und wie ich mein Schiff wieder unter Kontrolle bekomme?!!!
Ich entschliesse mich, nichts zu tun. Mich einfach weiter drauflos zu fahren zu lassen – wie will ich dem Spektakel anders sagen? Um dann – raus hier – westlich um die Insel Hoy nach Norden zu ziehen.
Ausatmen, mich nicht weiter beeindrucken lassen… Die ArgoFram schwimmt ja, ist da ein Problem? Aber kaum biege ich nach Norden, schlagen mir ungewohnt heftige Wellen entgegen. Wie in der Ostsee, nur spitzer, aufrechter, und urplötzlich umhüllt mich dichter Nebel! Sehe vielleicht noch 30 Meter weit. Schalte das Radar ein und lege das Elektro-Wölkchen-Bild über meine GPS-Seekarte. Wenn irgendjemand vor mir kein AIS betreibt, dann knallts. Langsamer fahren bringts aber auch nichts, weil ich ‘uns’ bei einer Temporeduktion nur noch mehr zum Spielball der Elemente mache (meine hohe Geschwindigkeit macht mich weniger anhängig von diesen Strömungen; ich bin zwar mittendrin aber husche gleichzeitig wie drüber, so viel habe ich begriffen – und die kurzzackigen Wellen, gegen die ich nun frontal anfahre, für (oder gegen) genau solche Verhältnisse hat Makro dieses Boot ja gebaut). Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass ich kaum was sehe – ein Höllenschlund, den ich nicht erkenne, kann mir keine Angst einjagen.
Zwei Kilometer vor mir soll sich ein Boot befinden, sagt AIS. Und sagt auch das Radar. Und beide lassen es kurz darauf wieder verschwinden! – Dies sind die Momente, die auch den hartgesottendsten Seemann ehrfurchtsergeben werden lassen; dies sind die Momente, in denen Abenteuer-Geschichten gedeihen, die den Seemannsgarn wuchern und überborden lässt! Himmel und Hölle spielen mit mir.
Über der Nebelbank scheint die Sonne zu scheinen, doch um mich herum tost das Wasser und ich bin im Rausch, blicke nicht wirklich durch. Es rumpelt und spritzt, aber die ArgoFram hält Kurs. Immerhin.
Minuten später die Erlösung; ich fahre in die Bucht vor Stromness ein, der Spuk ist vorüber. Ein grosses Fährschiff kommt mir zügig entgegen, steuert Richtung Schottland. I’m still standing; wir grüssen professionell. Spätsommerlich blühende Landschaften ziehen an mir vorbei, war alles nur Einbildung? – Ja, ich bin ahnungs- und ratlos. Und könnte nun mit Worten irgendwelche heroischen Gleichnisse entwerfen, nur um das zuvor beklemmende Gefühl des Ausgeliefert-Seins zu überwinden. Shit, denke ich, was ist da abgegangen?!
Oder ist im Grunde gar nichts geschehen, ausser dass sich das Wasser nicht so verhalten hat wie ich das (bisher) gelernt habe? Dass der Wechsel vom Schönwettersonnenbaden zum wolkenverhangenen Wasserstampfen einen gespenstischen Schrecken in meine Glieder fahren liess? – In Stromness angekommen, völlig durchgeschwitzt, erzähle ich dem Hafenmeister kurz das Erlebte. Aber der lacht nur, «das Heute ist harmlos», und verspricht, mir später Tabellen vorbeizubringen, damit ich die Weiterfahrt ‘besser’ planen kann. Denn sowas wie heute kann ins Auge gehen, meint er, insbesondere das westliche Umfahren von Hoy mit Strömung von Norden und gleichzeitigem Südwind – Wind? Habe ich den bemerkt?
Kaum angekommen gehe ich zuerst etwas wandern. Muss die Glieder schütteln. Den Geist öffnen. Gehe auf den nächsten Hügel und geniesse ‘oben ohne’ die wärmende Sonne – glaube nicht recht, was mir gerade widerfahren ist, und merke doch, dass mich etwas Ungeheuerliches erschüttert hat. Dann gehe ich endlich wieder mal duschen… Und lege mich in meiner kuscheligen Kabine hin, um im Internet nachzuschlagen, was ich schon zuvor hätte wissen sollen: https://www.vikingeskibsmuseet.dk/en/professions/education/the-viking-age-geography/the-vikings-in-the-west/scotland/pentland-firth; genau dies ist mir passiert (nichts downloaden, nur Grafik beachten: https://www.tekportal.net/pentland-firth/ zuerst von ‘grün’ gezogen, dann bei Nebel gegen ‘rot’ aufgelaufen). – Je weiter ich mich einlese, desto unheimlicher wird es: Familien, die um ihre spurlos verschlungenen Männer und Söhne trauern; Segler, die über alle möglichen Vorkehrungen berichten, und dann doch falsch lagen, und Behörden, die erst seit 25 Jahren ernst nehmen, was die Menschen rund um diese Meeresstrasse seit langem erzählen.
Nachträglich bin ich froh, nicht allzu genau gewusst zu haben was mich hier erwartet, und dass ich mit meiner relativ hohen Geschwindigkeit so unbekümmert in den Pentland Firth eingefahren bin. Als Segelboot wäre ich bei dieser Strömung wohl vorwärts, aber selbst mit Motorkraft kaum in eine gewünschte Richtung gekommen. Als Fischerboot hätte ich gelernt, mich mit den Strömungen zu bewegen (und keinesfalls dagegen), oder um diese Zeit zuhause zu bleiben. Und als Ruderboot möchte ich gar nicht darüber nachdenken, wie weit ich angesichts dieser Strudel überhaupt gekommen wäre. Aber früher gab es nur Segel und Ruder! Und Beobachtungsgabe. Und Mut.
Immerhin hatte ich keinen starken Wind, sonst wäre es wirklich ungemütlich geworden.