Ich bin auch darum nach Whitby gekommen, weil hier ein James-Cook-Museum lockt; James Cook, der Seefahrer, der Welten nicht nur entdeckte, sondern auch erschloss, und dessen Seekarten auch 200 Jahre nach seinem tragischen Tod noch in Gebrauch waren – derselbe James Cook, von dem ich Euch schon während meiner Weltreise berichtet habe, dessen (wiederaufgebautes) Haus ich in Melbourne besucht hatte. Seine Biografie sollte so oder so bekannt sein, oder nachgelesen werden https://de.wikipedia.org/wiki/James_Cook 😉

Hier in Whitby hat er – von London kommend – einen Lehrmeister gefunden, der ihm eine gründliche nautische Ausbildung zukommen liess; hier hat er die Jugendjahre verbracht und dieses Haus, in dessen Dachstock er Unterschlupf gefunden hat, ist heute ein Museum. Was mir die Möglichkeit gibt, versuchen nachzuvollziehen, wie dieser Junge vor rund 250 Jahren nicht nur zum bedeutendsten Entdeckungsreisenden seiner Zeit und zum Vorreiter der modernen Nautik geworden ist, sondern mit seinem analytischen Vorgehen auch wesentliche Impulse zur Aufklärung geliefert hat.

Das Museum hält leider nicht, was es verspricht. Aber die Anekdoten, die es wiedergibt, richten dennoch ein Licht auf seine Persönlichkeit: Zusammen mit den anderen jungen Auszubildenden (Berufsziel Steuermann) schlief er, wenn er nicht auf See war, unter dem Dach seines Lehrmeisters. Dieser Dachstock war weder isoliert noch vor Durchzug geschützt (es gab auch kein elektrisches Licht und ich sah nur ein Cheminé, das in der kalten Jahreszeit etwas Wärme spendete) – vermutlich war dieser Dachstock dennoch ein willkommener Rückzugsort nach den Wochen auf See. Cook galt als aufmerksamer Lehrling; während seine Mitbewohner abends die Pubs aufsuchten, las er alle Bücher und Reiseberichte, die er irgendwie ergattern konnte. Verbürgt ist, dass er sich unter dem (einzigen) Dachfenster einen Sitzplatz aufbaute, und dass die Haushälterin ihm immer wieder Kerzen brachte, damit er auch im Dunkeln lesen konnte.

Ja, James Cook war ein Streber; er hat alles Wissen aufgesaugt, angewandt, und vollzog auch im sozialen Bereich kluge Schachzüge; er konnte bedingungslos auf andere Menschen zugehen, ihr Erfahrungswissen anzapfen und erfolgreich anwenden – Cook hielt beispielsweise die ‘Seekarten’ der Polynesier für so vielversprechend, dass er sie in seine Planungen einbezog und die kundigsten Polynesier auch gleich in seine Mannschaft integrierte! (Tipp: Wir haben im Naturhistorischen Museum in Basel einige solcher ‘Karten’ im Original – ich bin jedes Mal verblüfft, wie damit Fahrten in simplen Auslegerbooten durch den gesamten Pazifik und Indischen Ozean, von Haiti zu den Osterinseln und bis nach Neuseeland und sogar Madagaskar, gemeistert werden konnten.) Auch hat Cook begriffen, wie sehr gezielte Ernährungsmassnahmen helfen, und hat damit das bislang übliche Sterben an Bord (Skorbut und andere Mängel) praktisch ausgemerzt. Sein Tun hat die Admiralität herausgefordert; sie und weitere Besserwisser konnten den Erfolg seiner Massnahmen aber nicht aufhalten. Ohne eine Ahnung von Vitamin C zu haben, hat er seine Evidenz erkannt und Sauerkraut und Zitronen an seine Mannschaft abgegeben. Und damit die Briten zur Weltmacht auf See befördert.

Für mich ist James Cook ein Beispiel dafür, in welche Welten man vorstossen kann, wenn einem das gesammelte Wissen nicht genügt; er hat das aktuelle gesammelte Wissen nicht einfach als intellektuelles Ruhekissen, sondern als Ansporn und Ausgangspunkt genommen, das naturgemäss weit mehr Fragen als Antworten liefert. Wissen als Sprungbrett, um darüber hinaus weiterzuforschen, um sich schlau zu machen – ausprobieren, hingehen und selbst nachsehen!

Jedenfalls waren seine Entdeckungen und seine Konsequenz (mit der er seine Mannschaft führte und seine Reisen vorantrieb) so gewichtig, dass die Errungenschaften von der Admiralität über 100 Jahre unter Verschluss gehalten wurden! Und der Englischen Krone eine Vormachtstellung für die nächsten hundert Jahren auf See einbrachten. – Cooks Neugierde hat die Welt sprichwörtlich auf den Kopf gestellt; nach seinen Reisen war sie eine andere als zuvor!

Nach dem Besuch des Cook-Museums breche ich am Nachmittag doch noch auf, lasse das lustige Städtchen Whitby hinter mir. Und dank einem Tipp der Fischereiaufsicht habe ich sogar einen Hafen genannt bekommen, wo ich vom Schiff aus tanken konnte: Royal Quais Marina, dem Sporthafen von Newcastle. Man stelle sich vor, an der gesamten Ostküste Englands und Schottlands gibt es nur gerade eine, eben diese Tankstelle (für Benzin). Frohgemut bis ich also in den Fluss Tyne eingefahren, habe die neuen, aus dem Boden gestampften Wohnquartiere an der Flussmündung bestaunt, und habe mir sogar überlegt, ob ich nicht nach Newcastle hochfahren soll; die Kontakte bei der Tankstelle, die Hafenmeisterin und die erfahren dreinschauenden ‘Jungs’, die zum Plausch rausfuhren um in der Nordsee zu tauchen, haben mir von Newcastle vorgeschwärmt. 30 km nur. – Da gelange ich immer wieder an einer Wegscheide: Was nun? Einer Empfehlung spontan folgen oder meinem Ziel, das gute Seewetter auszunützen und in den Norden kommen?

Nun gut, ich entscheide mich für Amble. Ein völlig unbekannter Ort (wie mir schien) als Sprungbrett um nach Schottland zu kommen. Und glücklicherweise bin ich nach dem Tanken umgehend wieder losgefahren, denn nur wenig später wäre ich wegen der Ebbe gar nicht mehr in den Hafen von Amble reingekommen – Anfängerglück, einmal mehr. Während andere gewissenhaft die Wasserstandstabellen konsultieren, sehe ich nur das Ziel und fahre los. Und ich sollte diese Wahl nicht bereuen; Amble ist ein Nest, aber es verfügt über einen privat geführten Sporthafen. Und der Inhaber tut alles, um seinen Kunden den Aufenthalt (in diesem ungünstig gelegenen Hafen) so angenehm wie möglich zu machen. Jedenfalls finden wir sofort den Draht zueinander, und ich erhalte umfangreiche Informationen über diese Gegend und meine spätere Fahrt nach Schottland. Genial.

So unscheinbar Amble wirkt, so überrascht bin ich, als ich am Abend gleich mehrere Spezialitätenrestaurants entdeckt: Fernost dominiert, aber auch Französisch und Italienisch steht zur Auswahl – weit mehr als nur Fish’n’Chips. Ich entscheide mich für den Italiener, und tatsächlich bedient mich die ganze Familie (der Koch zog aus Liebe in den Norden) und das ‘Scaloppine al limone’ schmeichelt meinem Gaumen. Wann habe ich auf meiner bisherigen Reise je so fein gegessen?!

Der Grund für diese kulinarische Vielfalt liegt nicht beim Sporthafen, der bringt zu wenig Laufkundschaft; der Grund liegt darin, dass Amble über rund 800 (!) Caravan-Parkplätze verfügt, und dass viele Inländer für einen Kurzausflug in dieses beschauliche Dorf kommen (und nicht selbst kochen wollen). Whitby bedient die Spassgesellschaft, Amble die vielleicht etwas ernsthafteren Inlandstouristen. Jedenfalls hat meine eher intuitive Art, meine Anlegestellen zu bestimmen, wieder zu einem überraschenden Ergebnis geführt und ich habe erneut etwas Unerwartetes kennengelernt – und mein schon wieder überfrachteter Tag hat einen perfekten Ausklang gefunden.